Das silberne Zeichen (German Edition)
Sache unterstützen, so gut wir können. Herr van Oenne sagte mir, dass er uns heute den Bruder Bartholomäus schickt. Er soll die Arbeit in unserer Werkstatt überwachen.»
«Das ist eine Frechheit! Eure Werkstatt ist eine der angesehensten in Aachen.»
Marysa schüttelte den Kopf. «Es ist eine ausgezeichnete Idee des Domherrn. Auf diese Weise können wir ganz leicht nachweisen, dass wir hier keine Fälschungen in die Amulette einbauen. Heute Mittag kommt Reimar van Eupen her und begleitet mich zu van Hullsens Silberschmiede, wo wir weitere zehn Abzeichen abholen werden.»
«Es ist nicht recht, dass sie Euch wie eine Angeklagte behandeln.»
«Das tun sie doch gar nicht», widersprach Marysa. «Wäre ich wirklich angeklagt, hätten sie mich längst in die Acht gesperrt – oder schlimmer noch, ins Grashaus.»
«Gott bewahre!»
«So weit wird es schon nicht kommen. Nun los, Leynhard, gehen wir in die Küche. Dort ist es viel wärmer, und Balbina hat vielleicht schon einen Happen zu essen für uns.»
Leynhard stand ächzend auf. Offenbar schmerzte ihn der Rücken, nachdem er in solch ungemütlicher Stellung eingeschlafen war. «Ich komme gleich», sagte er. «Will nur rasch die Werkzeuge wieder an ihren Platz räumen, damit sich Heyn nachher nicht aufregt.»
Marysa schmunzelte. Ihr Altgeselle Heyn war etwas eigen, was die Ordnung in der Werkstatt anging. Sie begab sich zu Balbina in die Küche, atmete den Duft des aufgebackenen Brotes ein und setzte sich neben den Ofen, um ihrer Köchin nicht im Weg zu stehen. Augenblicke später kam auch Imela herein. Sie trug ein Säckchen Hirse. Auf der Treppe erklangen weitere Schritte, dann hörte sie, wie Heyn etwas zu Leynhard sagte. Die gewohnten morgendlichen Geräusche wirkten beruhigend auf Marysas angespannte Nerven und gaben ihr Kraft, sich für den bevorstehenden Tag zu wappnen.
Bruder Bartholomäus traf bereits früh in der Werkstatt ein. Marysa hatte gerade die Haustür aufgeschlossen. Der Augustiner war ein ältlicher Mann von untersetztem Körperbau. Sein Hals war so kurz, dass es aussah, als ruhe sein Kopf direkt auf den Schultern. Zuvorkommend bot Marysa ihm einen Sitzplatz in einer Ecke der Werkstatt an, brachte ihm einen Krug Apfelmost sowie einen Holzbecher. Er bedankte sich freundlich und setzte sich; Marysa begab sich derweil in ihr Kontor, um ihre Geschäftskorrespondenz zu erledigen. Dabei vertiefte sie sich so sehr in ihre Arbeit, dass sie das Eintreffen des Schöffen van Eupen erst bemerkte, als Grimold in der Tür erschien und ihr den Besucher meldete.
Überrascht blickte sie von dem Brief an den ungarischen Kaufmann Barabás auf und legte ihre Schreibfeder beiseite. «Guten Morgen, Herr van Eupen», grüßte sie den Schöffen höflich und fügte nach einem Blick auf ihre Stundenkerze hinzu: «Ihr seid früh hier.»
«Ich grüße Euch, Frau Marysa. Dringende Verpflichtungen haben mich dazu gezwungen, die Pläne für den heutigen Tag zu ändern. Ich hoffe, ich störe Euch nicht bei etwas Wichtigem? Wäre es wohl möglich, dass wir jetzt gleich zu Meister van Hullsen gehen?»
«Sicher, warum nicht.» Marysa verschloss ihr Tintenhorn und legte den angefangenen Brief sorgsam in die kleine Lade unter dem Fenster. Sie gab Grimold die Anweisung, ihr ihren Mantel zu bringen, und rief dann nach Jaromir, der sie ebenfalls begleiten sollte.
Der Weg zu van Hullsens Werkstatt am Augustinerbach war nicht allzu weit; bei ihrem Eintreffen war der Silberschmied jedoch nicht im Hause. Ein schmächtiger rothaariger Geselle empfing sie und händigte ihnen den Beutel mit den neuen Pilgerabzeichen aus. Van Eupen prüfte jedes von ihnen sehr genau.
«Wie Ihr seht, liefern wir nur Ware allererster Güte», sagte der Geselle, der sich ihnen mit dem Namen Rudolf vorgestellt hatte. «Meister van Hullsen wollte Euch die Abzeichen eigentlich selbst übergeben, doch er wurde in der Nacht ans Krankenlager seiner Schwester gerufen und ist noch nicht zurück. Ich habe bereits einen der Knechte nach ihm ausgeschickt, denn es werden heute einige wichtige Kunden erwartet, mit denen der Meister persönlich sprechen wollte.»
«Die Abzeichen dürft Ihr trotzdem herausgeben?», versicherte van Eupen sich.
«Ja doch. Der Meister hat sie gestern selbst für Frau Marysa eingepackt. Darf ich?» Er nahm dem Schöffen den Beutel ab und entnahm ihm eines der Zeichen. «Seht Ihr diesen winzigen eingravierten Buchstaben auf der Rückseite? Es ist ein ‹H› – für van Hullsen. Daran
Weitere Kostenlose Bücher