Das silberne Zeichen (German Edition)
der Faust gegen die Wand. Irgendjemand musste hinter alldem stecken!
«Nanu, was muss ich da hören?», erklang plötzlich eine brüchige Stimme von irgendwo vor dem Fenster. «Ein frommer Christenmensch sollte nicht derart laut fluchen. Vielmehr täte es ihm gut, die Heilige Jungfrau um Rat und Unterstützung zu bitten.»
Christoph hielt verblüfft inne. «Amalrich, bist du es?» Er stellte sich auf die Zehenspitzen und musste den Kopf ein wenig verdrehen, um hinab zur Straße und zum Gefängnistor schauen zu können. Viel konnte er nicht erkennen.
Der Alte kicherte. «Gelobt sei der Herr! Eure Ohren sind noch in Ordnung. Haben sie sie nicht vorsorglich geschlitzt?»
«Was willst du hier?»
«Na, was glaubt Ihr denn, Meister Schreinemaker? Ich tue das, was ich am besten kann. Ich bringe Euch meinen Segen und den der Heiligen Jungfrau, deretwegen ich einst nach Aachen kam. Ihr zu Ehren wurde der Dom gebaut! Ihre Güte erstrahlt über uns arme Sünder alleweil.»
«He, Amalrich! Hältst du mal wieder fromme Reden?», fragte eine dunkle Männerstimme. «Und ausgerechnet vor dem Gefängnis? Glaubst du, die Gefangenen verlohnen die Mühe?»
«Eine jede gerettete Seele ist der Mühe wert, Meister Astened», antwortete Amalrich. «Ganz besonders die von armen Sündern.»
Meister Astened antwortete nicht darauf. Er lachte nur und schien seiner Wege zu gehen. Nachdem seine Schritte verklungen waren, sprach Amalrich wieder in Christophs Richtung: «Lasst uns beten, dass die Heiligen ein gutes Wort für Euch armen Sünder einlegen, wenn schon nicht beim Allmächtigen, so zumindest bei der lieblichen Mutter Christi. Sie steht uns bei in aller Not …»
«Amalrich!», unterbrach Christoph ihn gereizt. «Weshalb bist du hier?»
Der Alte hielt in seiner Litanei inne. «Wie man hört, kehrt morgen oder übermorgen der Domherr van Oenne zurück. Niemand weiß, wo er gewesen ist. Jedenfalls habe ich es nicht herausfinden können», flüsterte er. «Aber noch bemerkenswerter finde ich das plötzliche Verschwinden des Herrn Inquisitors. Jacobus von Moers gilt als fähiger Mann. Ein treuer Anhänger des noch lebenden Kölner Erzbischofs und Unterstützer des vermutlich nächsten, Dietrich von Moers.»
«Und?» Christoph versuchte, den Ausführungen des alten Pilgers zu folgen.
Amalrich brummelte etwas Umverständliches, dann sagte er: «Ist es nicht erstaunlich, dass Jacobus die Stadt nach Süden hin verlassen hat, just nachdem Eure reizende Verlobte einen Boten des Marienstifts in ebenjene Richtung gesandt hat?»
Christoph stutzte. «Du meinst, er ist dem Boten gefolgt?»
«Vielleicht – vielleicht auch nicht. Wer weiß?»
«Verdammt!»
«Na, na!» Amalrich gluckste. «Schon wieder ein Fluch. Seid froh, dass Ihr zur Heiltumsweisung einen vollkommenen Ablass erhalten habt, sonst würde Euch das Gefluche ein paar hübsche Tage im Fegefeuer bescheren.»
Christoph erschrak. «Amalrich, ich war nicht auf der Heiltumsweisung. Mein Bruder war es, der damals …»
«Sprach ich vielleicht von der Heiltumsweisung anno 1412?», kam es belustigt von unten. «Soweit ich mich erinnere, hatte Euer Bruder », er betonte das Wort sehr deutlich, «damals anderes im Sinn als Gebete und Spenden. Sein eigener Ablasshandel schien ihm weitaus wichtiger und einträglicher gewesen zu sein. Nun ja.» Wieder kicherte Amalrich leise. «Aber ist es nicht so, dass Ihr mit Euren Eltern schon einmal in Aachen gewesen seid? Damals müsst Ihr und Euer Bruder noch Kinder gewesen sein, nicht älter als sechs oder sieben Jahre. Wie ich vernahm, erhieltet Ihr damals schon jenen vollkommenen Ablass, von dem ich eingangs sprach.»
Wieder versuchte Christoph, den Alten durch die Gitter zu erkennen, und verrenkte sich beinahe den Hals dabei. «Woher weißt du das?», zischte er. «Davon habe ich niemandem erzählt!»
«Oh, gewiss nicht. Aber Euer Bruder erwähnte es das eine oder andere Mal. Zuletzt in einer flammenden Ansprache an einige potenzielle Käufer seiner Ablassurkunden, die es nicht geschafft hatten, alle Bedingungen zu erfüllen, welche an einen vollkommenen Ablass während der Heiltumsweisung geknüpft sind. Er kleidete die Geschichte in so anschauliche Worte, dass er hernach einen ganzen Stapel seiner Ablassbriefe losgeworden ist.»
Diese Sache hatte Christoph tatsächlich ganz vergessen. «Und du hast das gehört?», fragte er.
«Ich höre vieles», antwortete Amalrich. «Auch dass Eure reizende Verlobte außer sich vor Sorge um Euch
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