Das silberne Zeichen (German Edition)
woher denn? Ich hatte ja keine Ahnung, was es mit dem Schmuck auf sich hat.» Er hielt kurz inne. «Marysa, du solltest den Domherrn vielleicht lieber nicht einweihen.»
«Aber das muss ich doch!», widersprach sie. «Du glaubst, er könnte mit Bruder Jacobus unter einer Decke stecken?» Sie blickte ihm wieder in die Augen. «Das kann ich mir nicht vorstellen. Van Oenne ist ein freundlicher und gerechter Mann. Auch ist er der Einzige, mal abgesehen von meinen Eltern, der dich nicht gleich verurteilen wollte. Er hat mir versprochen, dafür zu sorgen, dass du eine ordentliche Verhandlung und die Möglichkeit bekommst, dich zu verteidigen und deine Herkunft nachzuweisen.»
«Mag sein.» Christophs Miene blieb skeptisch. «Vielleicht hat er das auch nur gesagt, weil er sicher war, dass mir das nicht gelingen würde.»
«Großer Gott!» Marysa schloss entsetzt die Augen. «Nein, Christoph, das kann ich einfach nicht glauben. So schlecht kann ein Mensch nicht sein. Warum sollte er so etwas tun?»
«Herrin, ich glaube, da kommt jemand!», raunte Milo aufgeregt von unten.
«Vielleicht will er sich unliebsame Konkurrenz vom Hals schaffen», schlug Christoph vor.
«Konkurrenz?»
«Im Reliquienhandel.»
«Aber wir arbeiten doch zusammen», protestierte Marysa. «Er liefert die Silberzeichen, ich die Amulette. Im Marienstift gibt es keine Kunstschreiner. Von dem Handel profitieren wir beide.»
«Herrin, schnell! Kommt da herunter», drängte Milo.
Marysa blickte zu ihm hinab. Im gleichen Moment hörte auch sie von irgendwoher Schritte und Stimmen.
«Ich muss gehen», raunte sie Christoph zu.
«Nimm dich in Acht, Marysa», antwortete er und sah ihr dabei zu, wie sie, die bereits weit heruntergebrannte Fackel in der Rechten, umständlich die Leiter hinabstieg.
«Rasch!», zischte Milo, nachdem Marysa wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Er zog die Leiter so hektisch von der Wand, dass er fast gestrauchelt wäre.
«Warte, Milo, ich helfe dir.»
Ohne auf seinen Protest zu hören, nahm Marysa ein Ende der Leiter und gab ihm ein Zeichen, sich in den Schatten zwischen den Häusern zurückzuziehen. Dort warteten sie atemlos, bis die kleine Gruppe Männer – offenbar angetrunkene Gesellen – in einiger Entfernung die Straße entlangkam und dann in einer Seitengasse verschwand.
Marysa hatte die Flamme der Fackel so gut es ging mit ihrem Körper verdeckt; nun übergab sie sie Milo. «Lass uns die Leiter zurückbringen und nach Hause gehen. Es ist spät, und wir brauchen unseren Schlaf. Morgen wird ein schwieriger Tag, fürchte ich.»
22. KAPITEL
«Du hast was getan?», rief Jolánda erschrocken. «Kind, bist du nicht mehr ganz bei Trost?» Sie schüttelte Marysa. «Was, wenn dich jemand gesehen hätte? Oder wenn du die Leiter hinabgestürzt wärst? Du lieber Himmel, Bardolf, sag doch auch mal etwas!»
Bardolf saß am Tisch in seiner Stube und blickte zu den beiden Frauen auf, die vor ihm standen. Er war nicht weniger entsetzt über Marysas Bericht als seine Frau. Doch fürchtete er, dass seine Stieftochter weit mehr die Tochter ihrer Mutter war, als man auf den ersten Blick vermutete. Marysa war nicht so aufbrausend wie Jolánda, aber ganz sicher ebenso stur. Sie zu schelten, würde nicht die geringste Wirkung erzielen. Deshalb stand er schließlich auf und tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger gegen die Lippen. «Christoph verdächtigt also diesen Bruder Jacobus.»
«Bardolf! Hast du nicht gehört, was Marysa gesagt hat? Sie ist mit einer Leiter an der Fassade des Grashauses hinaufgeklettert und hat mit Christoph …»
«Gesprochen», vollendete Bardolf den Satz.
«Sag ihr, dass sie so etwas nicht tun darf!»
«Marysa, so etwas darfst du nicht tun.» Er zuckte mit den Schultern. «Wenn tatsächlich Jacobus dahintersteckt, und nicht Hartwig, dürften wir in weit größeren Schwierigkeiten stecken, als wir zunächst dachten. Er ist Dominikaner und Inquisitor. Mit dieser Mischung ist nicht zu spaßen. Ich kann mir zwar beim besten Willen keinen Grund vorstellen, weshalb er etwas gegen dich haben sollte. Aber als Ordensmann – als echter Ordensmann», betonte er, «dürfte ihm ein falscher Ablasskrämer, der sich noch dazu als Mitglied der Inquisition ausgegeben hat, ein rechter Dorn im Auge sein.»
«Bardolf! Marysa hat sich in große Gefahr gebracht!», mischte Jolánda sich wieder ein. «Willst du das einfach so übergehen?»
«Ich übergehe gar nichts», erwiderte er. «Die Sache lässt sich
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