Das silberne Zeichen (German Edition)
Tür getraut habe. Und jeden Tag kam so eine Frau, die hat der Vogtmeier geschickt. Sie musste mich untersuchen und befragen. Ich hab erst nicht verstanden, was das sollte. Dann hab ich begriffen, dass sie darauf gewartet hat, ob ich schwanger geworden bin.»
«O mein Gott!» Marysa schloss für einen Moment die Augen. Jetzt erst begriff sie. «Wenn du empfangen hättest, wären diese Kerle tatsächlich im Recht gewesen.»
Geruscha nickte unglücklich. «Zum Glück war ich nicht schwanger. Trotzdem stand noch deren Aussage gegen meine. Einer armen Tagelöhnertochter glaubt man nicht, Herrin. Wozu auch, ist ja nicht so wichtig.» Sie schniefte ein wenig, doch ihre Augen blieben klar. «Der Vogt hat die Soldaten verwarnt und ihnen eine Geldstrafe aufgebrummt.»
«Eine Wiedergutmachung?»
Geruscha schüttelte den Kopf. «Nee, Herrin. Von dem Geld hab ich nie was gesehen. Die Kerle dürfen weiter frei herumlaufen und ich …»
«Du fürchtest dich seither vor deinem eigenen Schatten», vollendete Marysa den Satz. «Das tut mir sehr leid, Geruscha.»
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. «Am Tag ist es nicht so arg. Schlimmer ist, dass die gemeinen Sachen, die die Männer über mich gesagt haben, in unserer Nachbarschaft die Runde gemacht haben. Und es gibt genug Leute, die daran geglaubt haben. Die gibt es auch jetzt noch. Selbst Balbina hatte davon gehört, Herrin. Ich weiß genau, dass sie mich erst nicht hier haben wollte.»
«Aber das stimmt nicht», protestierte Marysa, obwohl sie es besser wusste.
«Doch, Herrin.» Geruscha nickte nachdrücklich. «So ist es … oder war es. Woher sollte sie auch wissen, dass die Gerüchte alle nicht stimmen? Jetzt mache ich dauernd so dumme Sachen und merke es nicht mal, weil ich dabei schlafe. Was müsst Ihr nur von mir denken, Herrin? Ihr und die anderen. Ich möchte meine Stellung hier so gerne behalten und …»
«Das kannst du doch, Geruscha.»
«Ich muss den anderen zeigen, dass ich noch richtig im Kopf bin.» Geruscha atmete tief durch. «Also gehe ich jetzt zu Jaromir und entschuldige mich dafür, dass ich ihn geschlagen habe … oder vielleicht geschlagen habe.» Entschlossen wandte sich die Magd um und eilte hinaus.
Marysa sah ihr mit einer Mischung aus Mitleid und Belustigung nach. Offenbar hatte sie sich mit der neuen Magd mehr aufgehalst als nur ein Paar fleißige Hände und einen hungrigen Magen, den es zu füllen galt. Eine christliche Tat war es gewiss, dem Mädchen Obdach und Arbeit zu gewähren. Aber war es auch klug gewesen?
Marysa strich über ihren Bauch, in dem sie immer häufiger die Bewegungen des Kindchens wahrnahm, ähnlich einem Schmetterling, der sich in ihrer Magengrube verfangen zu haben schien. Sie selbst würde schon bald Anlass zu Gerüchten und Spekulationen geben. Die Schwangerschaft ließ sich nicht mehr allzu lange verheimlichen. Bei einigen Leuten hatte sie ja bereits Argwohn geweckt, das stand außer Frage. Wenn sich die Sache herumsprach, durfte sie sich auf mehr als nur ein kleines Ärgernis gefasst machen. War es also klug gewesen, auch noch eine Magd mit solch unrühmlicher Vorgeschichte in ihren Haushalt aufzunehmen? Würde das dem Gerede nicht weiter Vorschub leisten?
Marysa seufzte leise und schob den Abakus zur Seite. Was kommen mochte, sollte kommen. Sie würde Geruscha nicht hinauswerfen. Das Mädchen war eine gute Magd, alles andere zählte nicht. Sie wünschte nur, das ewige Warten möge endlich ein Ende haben. Warten auf den Boten mit den Urkunden, warten auf van Oenne und Bruder Jacobus, warten auf den Beginn des Prozesses.
Sie fühlte sich so hilflos! Es gab nichts, was sie tun konnte, um die Ereignisse zu beschleunigen oder Christoph die Zeit im Gefängnis zu erleichtern. Sie überlegte, ob sie um des Kindchens willen nicht vielleicht doch eine Kleinigkeit zu sich nehmen sollte. Wenn sie sonst schon nichts tun konnte, musste sie wenigstens dafür sorgen, dass sie bei Kräften blieb.
Sie hatte sich gerade von ihrem Stuhl erhoben, als lautes Pochen an der Haustür einen Besucher ankündigte.
23. KAPITEL
Heyn Meuss war nicht gut zu Fuß. Den gesamten Weg von Kornelimünster nach Aachen wünschte er sich, einen Platz auf einem der Händlerfuhrwerke ergattert zu haben, die jetzt im Frühjahr wieder so zahlreich auf den Straßen unterwegs waren. Doch er hatte Pech gehabt. Vielleicht lag es an dem schlechten Wetter, dass Händler wie Fuhrknechte ihn abgewiesen hatten. Also musste er die kurze Strecke – es
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