Das silberne Zeichen (German Edition)
auch Jacobus von Moers bald in Aachen eintreffen. Marysa betete nicht zum ersten Mal, dass Christoph sich irrte, was den Inquisitor betraf. Vor einem Mann wie dem Dominikaner musste man sich in Acht nehmen. Sie erinnerte sich noch gut an sein Auftreten im vergangenen Herbst. Nicht nur hatte er sich gekonnt als jemand anders ausgegeben, sondern er war auch gleichermaßen klug und erbarmungslos gegen jene Schurken vorgegangen, durch deren Sabotage an der Baustelle der Chorhalle des Doms mehrere Menschen ums Leben gekommen waren. Es war nicht schwierig, sich vorzustellen, auf welche Art Bruder Jacobus mit einem potenziellen Ketzer verfahren würde.
Marysa wurde aus ihren düsteren Gedanken gerissen, als es an der Tür raschelte. «Ja, Geruscha, was gibt es?»
«Verzeihung, Herrin.» Die Magd nestelte verlegen an ihrer Schürze. Ihr Fuß war nach wie vor von einem Verband umwickelt, und sie humpelte noch leicht. Ihrer Arbeit ging sie dennoch gewissenhaft nach. «Möchtet Ihr zu Mittag etwas essen? Balbina und Imela haben eingelegte Heringe und gebackene Äpfel vorbereitet. Und weil Ihr doch schon heute früh nichts gegessen habt …»
«Stellt mir etwas beiseite, Geruscha. Mir ist heute nicht nach Essen zumute.»
«Aber Herrin …»
«Es ist schon gut», beruhigte Marysa sie. «Ein paar Stunden ohne Nahrung werden mir gewiss nicht schaden.»
«Wie Ihr meint, Herrin.» Geruscha wollte sich schon zurückziehen, machte dann jedoch einen Schritt vorwärts. «Herrin?»
«Was denn noch?» Ein wenig unwirsch blickte Marysa wieder von ihrem Rechenbrett auf.
«Es tut mir leid, ich möchte Euch nicht zur Last fallen.» Geruschas Wangen färbten sich tiefrot. «Ich wollte nur nochmal danke sagen, dass Ihr mir neulich geholfen habt. Ich dachte schon, Ihr würdet mich am nächsten Morgen gleich hinauswerfen.»
«Hinauswerfen? Um Himmels willen, weshalb denn?» Verblüfft starrte Marysa ihre Magd an. «Du kannst doch nichts dafür, dass du die Treppe hinabgestürzt bist.»
«Aber ich mache Euch so viele Umstände», murmelte Geruscha. «Ich weiß auch nicht, warum ich wieder mit dem Schlafwandeln angefangen habe. Ich fühle mich sehr wohl bei Euch und weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll, dass Ihr mir diese Stelle gegeben habt. Stattdessen bereite ich Euch noch mehr Sorgen, als Ihr ohnehin habt.» Geruscha senkte beschämt den Kopf.
Marysa seufzte. «Lass gut sein, Mädchen. Solange du deine Arbeit gut machst, ist mir das Dank genug.»
«Wirklich?»
Nun lächelte Marysa. «Wenn ich es sage.»
«Na gut.» Geruscha schwieg einen Moment, dann setzte sie erneut an: «Ähm, Herrin, es tut mir auch leid, dass ich so geschrien habe, als Jaromir mich tragen wollte. Ich wollte jetzt gerne wissen … ähm, hab ich ihn auch geschlagen?»
«Du hast Milo in den Bauch geboxt.»
«Das weiß ich. Bei ihm hab ich mich schon entschuldigt. Aber ich weiß nicht genau … ich trau mich nicht, ihn zu fragen, ob …»
«Ich kann mich nicht genau erinnern, ob du Jaromir getroffen hast. Gewiss ist er dir nicht böse. Mach dir nicht zu viele Gedanken, das tut nicht gut, Geruscha.»
«Ich weiß, Herrin.» Der Schürzenzipfel zwischen Geruschas Fingern war inzwischen stark zerknittert, so heftig drückte sie darauf herum. «Ich glaube, ich muss mich trotzdem bei ihm entschuldigen.» Sie atmete tief durch. «Jaromir ist immer nett zu mir gewesen. Ich möchte nicht, dass er …, na ja, schlecht von mir denkt. Obwohl das ja sonst auch fast alle tun.»
Erstaunt runzelte Marysa die Stirn. «Was meinst du? Niemand denkt schlecht von dir, Geruscha!»
«Nicht hier im Haus, Herrin. Aber sonst überall», sagte das Mädchen so leise, dass Marysa sie fast nicht verstanden hätte.
«Das ist Unsinn», widersprach Marysa ihr. «Weshalb sollte jemand schlecht von dir denken, nur weil dir einmal etwas Schlimmes passiert ist? Das war doch nicht deine Schuld.»
Geruschas Miene verzog sich gequält. «Die Leute sagen was anderes, Herrin. Damals, als … als das passiert ist, wollte mein Vater die Soldaten vor den Vogtmeier bringen. Wisst Ihr, was der gesagt hat? Die Soldaten hätten behauptet, dass ich absichtlich an ihrem Lager vorbeigekommen wäre und dass ich es nicht anders gewollt hätte.»
«Du liebe Zeit!», rief Marysa entsetzt. «Das hat der Vogtmeier geglaubt?»
«Alle haben es geglaubt», antwortete Geruscha dumpf. «Es war scheußlich. Ich musste mehrere Wochen zu Hause bleiben und mich einschließen, weil ich mich nicht mehr vor die
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