Das silberne Zeichen (German Edition)
waren nicht viel mehr als zwei Stunden – leider laufen. Sein linker Fuß schmerzte, dort hatte er einst in seiner Wanderzeit an zwei Zehen Erfrierungen erlitten. Der feine Nieselregen, der schon seit dem Morgen in der Luft lag und seinen Umhang klamm werden ließ, hob seine Stimmung nicht gerade. Er beschloss, in Burtscheid eine Pause einzulegen und sich in einem der Wirtshäuser etwas zu essen und einen ordentlichen Krug Bier zu gönnen. Da er sowieso schon viel länger fort gewesen war als gedacht, kam es nun auf einen halben Tag mehr oder weniger nicht mehr an.
Vielleicht war es ganz gut, wenn er sich noch ein wenig vom Aachener Büchel fernhielt. Schließlich galt es genau zu bedenken, was er als Nächstes tun musste. Seine kleine Reise hatte Überraschendes zutage gebracht – sein Leben würde sich bald grundlegend ändern. Frau Marysa würde gewiss nicht erbaut sein. Doch zum Kuckuck damit! Er hatte sehr lange darauf gewartet, dass sich ihm endlich eine Möglichkeit bot, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und das zu tun, wonach er sich seit nunmehr fast zwanzig Jahren sehnte. Endlich war es so weit. Rücksicht durfte er nun nicht mehr nehmen. Nicht, wenn so viel auf dem Spiel stand.
Ein jeder hätte so gehandelt, sprach er sich gut zu. Wenn man es zu etwas bringen wollte, musste man entschlossen handeln. Und das hatte er getan. Er hatte sich genommen, was in Wahrheit lange schon ihm gehört hatte. Jetzt würde er es der Welt endlich zeigen können.
Inzwischen hatte Heyn den kleinen Ort Burtscheid erreicht und steuerte auf eine Schenke zu. Durch die geöffnete Tür zog der angenehme Duft von gekochtem Gemüse und gebratenem Fleisch in die kühle Nachmittagsluft hinaus. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Gerade wollte er die Gaststube betreten, als sein Blick auf einen der Besucher fiel, der an einem Tisch neben dem Eingang saß.
Überrascht hielt er inne und machte gleich darauf einen Schritt zur Seite, um zu verhindern, dass der Mann ihn sah.
24. KAPITEL
Nachdem sie die Haustür geöffnet hatte, sah sich Marysa einem der städtischen Büttel gegenüber. Hinter ihm waren die beiden Schöffen Wolter Volmer und Reimar van Eupen sowie Rochus van Oenne versammelt und blickten ihr mit ernsten Mienen entgegen.
«Guten Tag», sagte sie und trat beiseite, um die Männer einzulassen. Keiner von ihnen machte jedoch Anstalten, ihr Haus zu betreten.
«Verzeiht, Frau Marysa», ergriff van Eupen das Wort. «Wir belästigen Euch nur ungern schon wieder, doch wir müssen Euch bitten, Euren Gesellen Heyn Meuss herzuholen.»
«Heyn?» fragte Marysa verwundert. «Was wollt Ihr von ihm?»
«Wir müssen ihn festnehmen», erklärte Volmer.
«Wie bitte?»
«Er steht unter dem dringenden Verdacht, die silbernen Pilgerabzeichen gestohlen und gegen gefälschte Exemplare ausgetauscht zu haben», fuhr van Eupen fort.
Marysa rang nach Atem. «Heyn soll das getan haben? Das kann ich nicht glauben! Wie kommt Ihr darauf?»
«Es gibt einen Zeugen», übernahm nun van Oenne das Wort. Er trat einen Schritt näher. «Ich erhielt vor einigen Tagen Nachricht, dass man eines der silbernen Zeichen bei einem wandernden Höker entdeckt habe. Selbstverständlich bin ich der Sache umgehend nachgegangen.»
«Bei einem Höker? Er kam nicht zufällig aus Trier?»
Der Domherr hob überrascht die Brauen. «Woher wisst Ihr …? Nein, erzählt mir das später. Es ist sehr wichtig, dass wir Euren Gesellen umgehend festsetzen, das versteht Ihr doch, Frau Marysa? Ich habe mit jenem Höker – Theodor Blasius ist sein Name – persönlich gesprochen. Auf die Frage, woher er das silberne Zeichen habe, nannte er den Namen Eures Gesellen.»
«Das kann nicht sein», stammelte Marysa. «Nicht Heyn. Er würde niemals …»
«Frau Marysa.» Van Oenne legte ihr begütigend eine Hand auf den Arm. «Ich kann verstehen, dass Ihr entsetzt seid. Heyn Meuss ist schon lange in Eurer Werkstatt beschäftigt, nicht wahr? Aber das ist auch der Grund, weshalb es ihm ein Leichtes war, Euch und uns hinters Licht zu führen. Unsere Aufgabe ist es nun, ihn zu befragen und die Sache vollständig aufzuklären. Vergesst nicht, es geht hier nicht nur um Diebstahl und Betrug, sondern auch um Brandstiftung und den Mord an einem angesehenen Silberschmied.»
«Ich weiß.» Marysa rang um Fassung.
«Also sagt uns bitte, wo Heyn sich im Augenblick aufhält», bat van Eupen mit drängender Stimme. «Ist er im Haus?»
«Nein. Er ist nicht hier», antwortete Marysa.
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