Das silberne Zeichen (German Edition)
Riegel vor die Haustür. Es wird bald dunkel.»
Offenbar lockte Leynhard das saftige Fleisch nun doch, denn er stellte den Becher ab und rückte mit seinem Hocker näher an den Tisch heran.
Marysa setzte sich ihm gegenüber auf die Holzbank und sah ihm beim Essen zu. Erst jetzt bemerkte sie die Bartstoppeln auf seinen Wangen, das zerzauste Haar und die Schlammspritzer auf seinem Gewand. Als sie den Eindruck hatte, dass das Essen ihn wieder etwas gestärkt hatte, wiederholte sie ihre Frage: «Was ist dir zugestoßen, Leynhard? Wer hat dich überfallen?»
Leynhard trank noch einen Schluck von dem mittlerweile abgekühlten Kräutertrank, bevor er antwortete. «Ich weiß es nicht, Frau Marysa, denn er kam von hinten. Aber er hat mich nicht bestohlen, sondern ließ mich einfach an Ort und Stelle liegen. Vielleicht glaubte er, ich sei tot.» Er schwieg einen Moment, dann holte er erneut Luft. «Er muss mich beobachtet haben, denn sein Angriff kam so plötzlich. Vielleicht hat er mir aufgelauert.»
Er legte seine Hände auf den Tisch, und Marysa sah, dass sie zitterten. Fürsorglich drückte sie sie leicht. «Ich bin froh, dass dir nichts Schlimmes zugestoßen ist. Aber wer hat das bloß getan?» Insgeheim hatte sie sich die Antwort natürlich längst gegeben. Es musste derjenige gewesen sein, der auch für Heyns Tod verantwortlich war. Irgendjemand spielte ein teuflisches – ein mörderisches – Spiel mit ihr und ihren Leuten.
«Warst du in Frankfurt?», fragte sie. «Hast du den Boten noch getroffen? Was ist mit den Urkunden?»
«Das weiß ich auch nicht», antwortete er bedauernd. «Ich war in Frankfurt, doch den Boten fand ich nirgends. Als ich beim Rat nachfragte, erfuhr ich, dass bereits ein Mann dort gewesen sei, der Kopien von Meister Schreinemakers Urkunden angefordert hatte. Das muss wohl Euer Bote gewesen sein. Ich habe keine Ahnung, wohin er danach verschwunden ist. Da er einen Vorsprung hatte, nahm ich an, er sei längst wieder in Aachen.»
«Das ist er nicht», entgegnete Marysa. «Zumindest hat er sich bei mir bisher nicht gemeldet. Das ist merkwürdig. Und dann der Überfall auf dich … Wann genau ist das passiert?»
«Gestern Abend», antwortete Leynhard und schauderte ein wenig. «Es dämmerte bereits. Ich war nicht mehr fern von Aachen und überlegte gerade, ob ich in einem der Dörfer um ein Lager bitten sollte. Er kam wie aus dem Nichts von hinten, schlug mich. Ich fiel vom Pferd und muss mit dem Kopf auf einer Wurzel aufgeschlagen und ohnmächtig geworden sein. Als ich aufwachte, war es fast dunkel und der Angreifer fort.» Leynhard blickte an sich hinab. «Ich bin genau in eine große Wasserlache gefallen, deshalb dachte er vielleicht, dass ich ertrinke, wenn er mich mit dem Kopf im Wasser liegen lässt.»
«Heilige Muttergottes», entfuhr es Milo. Der Knecht war aschfahl geworden. Marysa erinnerte sich, dass ihm im vergangenen Herbst Ähnliches widerfahren war. Konnte es sein, dass …? Nein!, rief sie sich sofort zur Ordnung. Jener Mann, der Milo damals angegriffen und schwer verletzt hatte, war mittlerweile tot – öffentlich hingerichtet durch die Hand des Aachener Henkers.
«Woher hast du diese Kutte?», wollte Marysa wissen.
«In dem Dorf, durch das ich kurz darauf kam, lagerte eine kleine Gruppe Augustiner», erklärte Leynhard. «Sie waren sehr gütig und gaben mir die Kutte, weil doch meine Kleider ganz nass und zerrissen waren.» Er trank den letzten Rest aus seinem Becher und erhob sich dann vorsichtig. «Verzeiht, Frau Marysa, ich fühle mich sehr erschöpft.»
«Aber ja doch, das kann ich gut verstehen.» Auch Marysa stand auf. «Leg dich nieder und schlaf dich aus. Später können wir weiterreden. Morgen früh werde ich beim Marienstift vorsprechen und fragen, ob es etwas Neues über den Boten gibt.» Sie zog die Stirn kraus. «Ich hoffe bei Gott, dass nicht er es war, der dir dies angetan hat», murmelte sie in Leynhards Richtung.
Er wurde blass. «Der Bote? Ihr meint, er könnte … Aber weshalb sollte er das getan haben?»
«Das weiß ich nicht, und es ist auch nur reine Spekulation», antwortete Marysa. «Geh zu Bett und ruh dich aus, Leynhard. Dann sehen wir weiter.»
30. KAPITEL
Allmählich kam Bewegung in seinen Plan. Zwar hatte Marysa seine kleine Überraschung noch nicht entdeckt, aber das war ihm nun ganz recht. Grinsend rieb er sich die Hände. Er hatte sie eine Weile beobachtet und sein ursprüngliches Vorhaben noch einmal an die Begebenheiten
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