Das silberne Zeichen (German Edition)
angepasst.
Im Augenblick war das Haus noch immer von lebhaften Stimmen und Geschäftigkeit erfüllt. Die Aufregung über die jüngsten Ereignisse war deutlich spürbar. Deshalb galt es, noch ein wenig länger geduldig zu sein und abzuwarten, wann der günstigste Zeitpunkt zum Handeln gekommen war.
Vielleicht sollte er Marysas Aufmerksamkeit gezielt auf das kleine Geschenk lenken, das er für sie vorbereitet hatte. Spannender jedoch schien es ihm, dabei zuzusehen, wie sie von selbst darauf stieß. Sie war klug, neugierig, wachsam.
Bald war sie sein. Er spürte, wie sich bei diesem Gedanken die Härchen auf seinen Armen aufrichteten. Leider würde die Freude und Genugtuung darüber nicht lange währen. Er musste sie zerstören. Sie und diesen heuchlerischen Bastard.
Er malte es sich aus: das Entsetzen in beider Gesichter, wenn sie die Wahrheit erkannten; das Feuer, in dem sie, wenn es nach seinem Willen ging, beide zugrunde gehen würden; das Glücksgefühl, welches ihn beim Klang ihrer verzweifelten Schreie durchströmen würde.
Er spürte, wie sich bei dieser Vorstellung eine weitere Empfindung in ihm regte. In seinen Lenden breitete sich ein angenehmes Ziehen aus.
Nicht mehr lange, und sie wären sein: die Frau, die Vergeltung, die Genugtuung. Alles.
31. KAPITEL
Auch an diesem Abend hatte sich Marysa früh zurückgezogen. Der Tag war so ereignisreich gewesen, dass ihr nun der Kopf brummte. Sie war glücklich, dass es Christoph den Umständen entsprechend gutging. Ähnlich wie er hatte auch sie sich bereits mehrfach gefragt, was van Oenne wohl mit dem Besuch im Gefängnis bezweckt haben mochte. Ihr war natürlich aufgefallen, wie der Domherr das Gespräch geschickt auf Christophs Bruder und dessen mögliche Zuneigung zu ihr gelenkt hatte. Auch hier, so schien es ihr, wurde ein Spiel gespielt, dessen Regeln ihr nicht bekannt waren.
Zu ihrer Erschöpfung gesellte sich allmählich ein bohrender Kopfschmerz, der sie schließlich veranlasste, alle Grübeleien seinzulassen. Stattdessen versuchte sie des Pochens hinter ihren Schläfen durch tiefes, gleichmäßiges Atmen Herr zu werden. Darüber schlief sie ein.
Wie weit die Nacht fortgeschritten war, konnte sie nicht ermessen, als sie wieder erwachte. Was sie geweckt hatte, war ihr zunächst unklar. Erst nachdem sie das Geräusch ein zweites Mal vernahm, richtete sie sich in ihrem Bett auf. «Gort!» Sie fluchte leise, als ein weiteres Steinchen gegen den Laden ihres Fensters klackte. Wut stieg in ihr auf. Rasch schwang sie die Beine über die Bettkante und griff nach ihrem Hausmantel.
Sie stieß den Fensterladen auf, kalte Nachtluft strömte ihr entgegen. Wenn sie den Stand des Mondes richtig einschätzte, musste es wohl gerade zwei, höchstens drei Stunden nach Mitternacht sein. Angestrengt starrte sie auf den stillen Büchel hinab. Nichts rührte sich.
«Ist da jemand?», raunte sie. «Gort, bist du das?»
Alles blieb ruhig. Oder war da ein leises Rascheln gewesen? Marysa strengte ihr Gehör noch mehr an, konnte aber nicht mit Sicherheit sagen, ob das Geräusch, das sie glaubte gehört zu haben, aus dem Hof kam. Dieser lag auf der anderen Hausseite – es gab wohl nur eine Möglichkeit, der Sache auf den Grund zu gehen. «Wenn du das bist, Gort», flüsterte sie ärgerlich, «dann kannst du was erleben!»
Sie schlüpfte aus dem Hausmantel und warf sich ihr Kleid über, band ihr Haar unter einer Haube zusammen und zog den Mantel danach wieder über. Sicher war sicher. Sollte sich jemand – auch Gort – einen Schabernack mit ihr erlauben, so wollte sie den Missetäter wenigstens ordentlich gekleidet zur Räson bringen. Sie schlüpfte in ihre Schuhe, entzündete ihre Öllampe und ging leise nach unten. Auch heute dachte sie nicht daran, einen ihrer Knechte zu wecken. Haus und Hof waren hellhörig, vor allem bei Nacht. Sollte sich eine Gefahr dort draußen befinden, würde man ihre Rufe sofort hören.
Angst hatte sie indes nicht, auch nicht, wenn sie daran dachte, dass Gort möglicherweise für Heyns Tod verantwortlich sein könnte. Stattdessen sammelte sich ein unbändiger Zorn in ihrer Magengrube, wie sie ihn zuletzt zu Lebzeiten von Reinold verspürt hatte. Wer auch immer sich da draußen herumtrieb – sie hasste es, von ihm wie eine Spielfigur hin und her geschoben zu werden, ohne zu wissen, wozu dieses ganze Possenspiel diente. Denn für ein solches hielt sie inzwischen die Ereignisse der vergangenen Wochen. Nicht sie und Christoph hatten es begonnen;
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