Das silberne Zeichen (German Edition)
aussichtslos sein. Wenn jemand weiß, wo er sich aufhält, dann Christoph Schreinemaker. Und der wird darüber schweigen.»
«Was willst du also jetzt tun?»
«Ich muss Zeit gewinnen. Es gibt noch jemanden, der mir helfen kann. Bis er hier eintrifft, darf der Prozess nicht beginnen. Die Schöffen brennen geradezu darauf, den Schreinemaker zu verurteilen.» Jacobus lächelte bitter, als ihm die Zweideutigkeit seiner Worte bewusstwurde. «Dieser Meister Schrenger gibt keine Ruhe. Er ist so besessen davon, seiner Cousine zu schaden, dass er für kein Argument zugänglich scheint. Sobald das Gericht tagt, wird das Eis unter unseren Füßen noch dünner, Rochus.» Bedeutungsvoll blickte Jacobus dem Domherrn in die Augen.
Dieser dachte über die Worte des Dominikaners eine Weile nach. «Dann tu, was du tun musst, Jacobus.»
***
Irritiert blickte Geruscha sich auf dem Abtritt um. Sie hatte erwartet, ihre Herrin dort vorzufinden, möglicherweise mit den Nachwirkungen einer Übelkeit ringend. Doch es war niemand dort. Auch hinter dem Misthaufen, der sich an den Abort anschloss, war alles ruhig. Wohin war Marysa verschwunden? Ratlos sah sich die Magd um. War es am Ende gar nicht ihre Herrin gewesen, die sich nach draußen geschlichen hatte? War Milo oder Jaromir heimlich aus dem Haus geschlüpft, um … ja, um was eigentlich? Mitten in der Nacht? Geruscha biss sich auf die Lippen. Milo war so etwas durchaus zuzutrauen. Sie argwöhnte, dass er das wenige Geld, das er als Knecht verdiente, hin und wieder einer Hübschlerin in den gierigen Rachen warf. Oder einem Schankwirt. Sie wusste auch, dass sich die kleine Imela darüber ein wenig grämte. Jaromir hingegen würde ganz sicher nicht nachts heimlich in der Stadt herumstreunen, dazu war er viel zu schüchtern. Ein kleines Lächeln huschte über Geruschas Gesicht. Sie würde es niemals jemandem verraten – es fiel ihr ja schon schwer, es sich selbst einzugestehen –, doch der besonnene und zurückhaltende Jaromir gefiel ihr ausgesprochen gut. Tatsächlich spürte sie in seiner Gegenwart sogar immer ein leichtes Zucken ihres Herzens.
Geruschas Lächeln schwand. War es also Milo gewesen, der sie mit einer seiner nächtlichen Eskapaden dazu gebracht hatte, ihr warmes Bett zu verlassen und sich Sorgen zu machen, wo es eigentlich galt, Schelte zu verteilen? Geruscha schnaubte, raffte ihre Röcke und wollte gerade zurück zum Haus stapfen, als das Knarren der Stalltür sie zusammenzucken und innehalten ließ.
Zunächst sah sie nichts als ein kleines Licht, das sich über den Hof in Richtung Tor bewegte. Da sich ihre Augen jedoch inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie gleich darauf ganz deutlich zwei Gestalten – eine Frau und einen Mann, der ihr sehr dicht folgte.
Geruscha hielt erschrocken die Luft an. Das war doch Frau Marysa! Wo wollte sie hin? Fast hätte Geruscha sie angesprochen, doch der Ton blieb ihr in der Kehle stecken. Der Mann war einen Schritt hinter Marysa zurückgeblieben, sodass sich das Licht des Mondes, welcher in diesem Moment hinter den Wolken hervortrat, in der Schneide des kleinen Dolches spiegelte, den er auf Marysa gerichtet hielt. Im nächsten Moment hatte der Mann wieder dicht zu Marysa aufgeschlossen. Sie schob den schweren Balken zur Seite, der das Tor verschloss, und öffnete es gerade weit genug, um hindurchzuschlüpfen.
Das kurze Aufleuchten des Mondlichtes hatte gereicht, um nicht nur die Klinge sichtbar zu machen. Geruscha hatte auch das Gesicht des Mannes erkannt. Sie stand wie erstarrt neben dem Misthaufen. Was um alles in der Welt ging hier vor? Wo brachte er ihre Herrin hin? Musste sie nicht Alarm schlagen? Aber was, wenn er dann zustach? Geruschas Herz schlug so laut, dass es in ihren Ohren dröhnte. Die Steine unter ihren Sohlen und die Kälte spürte sie nicht mehr, als sie die Verfolgung aufnahm.
***
«Frau Marysa, seid Ihr wach? Ich weiß, es ist noch sehr früh, aber da ist ein Besucher, der Euch unbedingt sprechen will.» Imela steckte den Kopf durch die Tür zur Kammer ihrer Herrin. Verwundert blickte sie auf das zerwühlte, leere Bett. «Herrin?» Sie betrat die Kammer und sah sich um, dann eilte sie zurück nach unten, wo Balbina ihr erwartungsvoll entgegenkam.
«Hast du die Herrin geweckt? Ist ihr nicht wohl?», wollte die Köchin wissen.
Imela schüttelte den Kopf. «Sie ist nicht da», antwortete sie.
«Nicht da? Was soll das heißen?»
Die kleine Magd zuckte mit den Achseln. «Ihre Kammer ist
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