Das Silmarillion
verging der Schatten, und sein Mut war erfrischt, und er rief laut aus: » Utúlie’n aure! Aiya Eldalië ar Atanatári, utúlie’n aure! Der Tag ist gekommen! Sehet, ihr Völker der Eldar und Väter der Menschen, der Tag ist gekommen!« Und alle, die hörten, wie seine laute Stimme von den Hügeln widerhallte, riefen zur Antwort: » Auta i lóme! Die Nacht vergeht!«
Nun wählte Morgoth seine Stunde, der vieles von den Vorbereitungen und Plänen seiner Feinde wusste, und imVertrauen auf seine verräterischen Diener, die Maedhros zurückhalten und die Vereinigung seiner Feinde hindern mussten, schickte er eine Streitmacht gegen Hithlum, die groß zu sein schien (und doch nur ein Teil alles dessen war, was er gerüstet hatte); und seine Leute waren alle in schmutziges Grau gehüllt und zeigten keinen blanken Stahl, und so waren sie schon weit über den Sand von Anfauglith gekommen, ehe ihr Nahen bemerkt wurde.
Nun begannen die Herzen der Noldor zu sieden, und ihre Hauptleute wünschten die Feinde auf der Ebene anzugreifen. Húrin aber sprach dagegen, vor Morgoths Heimtücke warnend, der stets stärker sei, als er scheine, und andres im Schilde führe, als er erkennen lasse. Und obwohl das Zeichen für Maedhros’ Vormarsch nicht kam und das Heer ungeduldig wurde, drängte Húrin darauf, weiter zu warten und die Orks sich im Ansturm gegen die Hügel aufreiben zu lassen.
Doch Morgoths Hauptmann im Westen hatte Befehl, Fingon um jeden Preis schnell aus seinen Hügeln hervorzulocken. Er rückte daher an, bis seine vorderste Schlachtreihe sich jenseits des Sirion aufgestellt hatte, von den Mauern der Festung Eithel Sirion bis zur Mündung des Rivil im Fenn von Serech; und Fingons Vorposten konnten ihren Feinden in die Augen sehen. Doch keine Antwort kam auf seine Herausforderung, und das Hohngeschrei der Orks verstummte bald, als sie auf die schweigsamen Mauern und die drohenden Hügel blickten. Nun schickte Morgoths Hauptmann Reiter mit Heroldszeichen vor, und sie kamen bis zu den Außenbefestigungen des Barad Eithel geritten. Bei sich hatten sie Gelmir, Guilins Sohn, jenen Edlen von Nargothrond, den sie in der Dagor Bragollach gefangen genommen; und sie hatten ihm die Augen ausgestochen. Jetzt wiesen die Herolde vonAngband auf ihn und riefen: »Noch viele wie ihn haben wir daheim, doch beeilt euch, wenn ihr sie finden wollt, denn so wollen wir mit ihnen allen verfahren, wenn wir zurückkehren.« Und vor den Augen der Elben hackten sie Gelmir die Hände und Füße ab und zuletzt den Kopf und ließen ihn liegen.
Das Unglück wollte es, dass an diesem Platz der Außenbefestigungen Gwindor aus Nargothrond stand, Gelmirs Bruder. Zum Wahnsinn trieb ihn der Zorn; er stürmte zu Pferde los und viele Reiter mit ihm. Sie verfolgten die Herolde und erschlugen sie und stießen dann weiter vor, tief in das Hauptheer hinein. Und bei diesem Anblick geriet das ganze Heer der Noldor in Flammen, und Fingon setzte seinen weißen Helm auf und ließ die Trompeten blasen, und das ganze Heer von Hithlum stürmte plötzlich aus den Hügeln hervor. Das Aufblitzen, als die Noldor die Schwerter zogen, war wie Feuer im Riedgras, und so hart und schnell kam ihr Angriff, dass Morgoths Pläne fast zunichte geworden wären. Das Heer, das er nach Westen geschickt hatte, wurde hinweggefegt, ehe er Verstärkung heranführen konnte, und Fingons Banner zogen über Anfauglith hinweg und wurden vor den Mauern von Angband aufgerichtet. Immer in der vordersten Reihe kämpften Gwindor und die Elben aus Nargothrond, und auch jetzt ließen sie sich nicht zurückhalten. Sie brachen durchs Tor und erschlugen die Wachen, bis auf die Treppen von Angband vordringend, und Morgoth zitterte auf seinem Thron in der Tiefe, als er hörte, wie sie gegen seine Türen hämmerten. Dort aber waren sie in der Falle, und alle wurden sie erschlagen, bis auf Gwindor, den man lebendig fing; denn Fingon konnte ihnen nicht zu Hilfe kommen. Durch viele geheime Tore von Thangorodrim hatte Morgoth sein Hauptheer ausrücken lassen, das erin Bereitschaft hielt, und Fingon wurde mit großen Verlusten von den Mauern zurückgeschlagen.
Dann, am vierten Tag des Krieges in der Ebene von Anfauglith, begann Nirnaeth Arnoediad, die Schlacht der Ungezählten Tränen, denn kein Lied und keine Erzählung kann von all ihrem Leid berichten. Fingons Heer zog sich über die Sandwüste zurück; und Haldir, der Fürst der Haladin, fiel in der Nachhut, und mit ihm fielen die meisten der Männer aus
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