Das Silmarillion
barsten von dem Lärm und stürzten von hoch oben herab und verstopften die Fälle des Esgalduin. Dort kämpften sie bis zum Tode; doch Thingol achtete nicht auf sie, denn er kniete neben Beren und sah, dass er schwer verwundet war.
Zu dieser Stunde tötete Huan Carcharoth; doch dort, in den verwobenen Wäldern von Doriath, erfüllte sich auch sein eigenes, längst gesprochenes Schicksal, und er wurde zu Tode verwundet, und Morgoths Gift drang in ihn ein. Als er nun kam und neben Beren niedersank, sprach er zum dritten Male mit Worten, und er sagte Beren Lebewohl, ehe er starb. Beren sprach nicht, doch er legte die Hand auf den Kopf des Hundes, und so schieden sie.
Mablung und Beleg kamen dem König zu Hilfe geeilt, doch als sie sahen, was geschehen war, warfen sie die Speere hin und weinten. Dann nahm Mablung ein Messer und schnitt dem Wolf den Bauch auf; und er war von innen fast ganz verzehrt wie von einem Feuer, doch Berens Hand, die den Stein hielt, war noch unversehrt. Doch als Mablung die Hand anrühren wollte, war sie nicht mehr da, und der Silmaril lag unverhüllt vor ihnen, und sein Licht erfüllte all die Schatten des Waldes um sie her. Da ergriff Mablung ihn schnell und ängstlich und legte ihn in Berens lebendige Hand; und die Berührung des Silmaril weckte Beren, und erhielt ihn empor und bat Thingol, ihn entgegenzunehmen. »Nun ist der Auftrag erfüllt«, sagte er, »und mein Schicksal vollendet«; und dann sagte er nichts mehr.
Sie trugen Beren Camlost, Barahirs Sohn, auf einer Bahre von Ästen, Huan den Wolfshund an seiner Seite, und als die Nacht anbrach, waren sie zurück in Menegroth. Unter der großen Buche Hírilorn kam Lúthien ihnen langsamen Schrittes entgegen, und manche gingen mit Fackeln neben der Bahre. Dort umarmte sie Beren, küsste ihn und hieß ihn, sie jenseits des Westmeeres zu erwarten; und er blickte ihr in die Augen, ehe der Geist aus ihm wich. Doch das Sternenlicht war erloschen, und Dunkelheit war selbst über Lúthien Tinúviel gefallen. So endete die Fahrt nach dem Silmaril; doch das Lied von Leithian, von der Erlösung aus den Banden, endet nicht.
Denn auf Lúthiens Geheiß wartete Berens Geist in Mandos’ Hallen, nicht gewillt, die Welt zu verlassen, ehe nicht Lúthien ihm ein letztes Lebewohl sagte an den dunklen Ufern des Außenmeeres, auf das die Menschen hinausfahren, wenn sie sterben, um nie wiederzukehren. Doch Lúthiens Geist fiel hinab ins Dunkel, und zuletzt entfloh er, und ihr Leib lag da wie eine Blume, die plötzlich geschnitten wird und verwelkt noch eine Weile im Grase liegt.
Winter kam da über Thingol, wie das Greisenalter über sterbliche Menschen. Lúthien aber ging in Mandos’ Hallen, an den Ort, wo die Eldalië warten, hinter den Häusern des Westens und an den Rändern der Welt. Die Wartenden dort sitzen im Schatten ihrer Gedanken. Doch Lúthiens Schönheit war mehr als aller anderen Schönheit, und Lúthiens Leid tiefer als aller anderen Leid; und sie kniete vor Mandos nieder und sang für ihn.
Lúthiens Lied vor Mandos war das schönste, das je aus Worten geflochten wurde, und das traurigste, das die Welt je hören wird. Unvergänglich und unverändert wird es in Valinor noch immer gesungen, außer Hörweite der Welt, und die Valar sind bekümmert, wenn sie es hören. Denn Lúthien verwob zwei Themen in das Lied, von der Trauer der Eldar und vom Leid der Menschen, von den Zwei Geschlechtern, die Ilúvatar erschuf, auf dass sie Arda bewohnten, das Erdenreich inmitten der unzählbaren Sterne. Und als sie vor Mandos kniete, fielen ihre Tränen auf seine Füße, wie der Regen auf die Steine fällt; und Mitleid bewegte Mandos, wie es ihn niemals zuvor oder nachher bewegt hat.
Daher rief er Beren herbei, und so wie es Lúthien zur Stunde seines Todes gesagt hatte, trafen sie sich jenseits des Westmeeres. Doch stand es nicht in Mandos’ Macht, die Geister der Menschen, welche gestorben waren, über die Zeit des Wartens hinaus in den Grenzen der Welt zu behalten; noch vermochte er in die Geschicke der Kinder Ilúvatars einzugreifen. Er ging daher zu Manwe, dem Fürsten der Valar, welcher in Ilúvatars Auftrag die Welt regierte; und Manwe suchte Rat in seinen innersten Gedanken, in denen sich Ilúvatars Wille offenbarte.
Dies beides stellte er Lúthien zur Wahl: Für ihre Taten und ihren Schmerz sollte sie von Mandos freigegeben werden und nach Valimar gehen, um dort bis an der Welt Ende unter den Valar zu wohnen, alles Leid ihres Lebens vergessend.
Weitere Kostenlose Bücher