Das Silmarillion
Dimbar, auf den Anach-Pass zu. Und nun war er nicht mehr weit hinter ihnen, denn er ging, ohne zu schlafen, während sie unterwegs Halt gemacht hatten, um im Lande zu jagen, keine Verfolgung mehr fürchtend, als sie in den Norden kamen. Nicht einmal in den entsetzlichen Wäldern von Taur-nu-Fuin verlor er die Spur, denn Beleg war findiger als je ein andrer in Mittelerde. Doch als er des Nachts durch dieses verfluchte Land zog, da traf er auf einen, der schlafend unter einem großen toten Baum lag; und Beleg blieb neben dem Schläfer stehen und sah, dass es ein Elb war. Dann sprach er ihn an, gab ihm Lembas und fragte ihn, welches Schicksal ihn an diesen furchtbaren Ort geführt habe; und der andere nannte sich Gwindor, Guilins Sohn.
Traurig sah Beleg ihn an, denn Gwindor war an Geist und Gestalt nur mehr ein gebeugter, ängstlicher Schatten jenes Edlen von Nargothrond, der einst in der Nirnaeth Arnoediad mit ungestümem Mut bis zu den Toren von Angband geritten war, wo man ihn gefangen nahm. Denn um ihres Geschicks in der Schmiedekunst und im Schürfen der Erze und Edelsteine willen ließ Morgoth die gefangenen Noldor nur selten töten; und so war auch Gwindor nicht getötet, sondern zur Arbeit in die Bergwerke des Nordens gesteckt worden. Durch geheime Tunnel, die nur sie selbst kannten, gelang es den Elben manchmal, aus den Bergwerken zu fliehen; und so kam es, dass Beleg nun Gwindor traf, erschöpft und verirrt in den Labyrinthen von Taur-nu-Fuin.
Und Gwindor sagte ihm, als er hier gelegen und zwischen den Bäumen hervorgespäht, da sei ein großer Haufen Orks nach Norden vorübergezogen, von Wölfen begleitet; und unter ihnen sei ein Mensch gewesen, dessen Hände zusammengekettet waren und den sie mit Peitschen antrieben. »Sehr groß war er«, sagte Gwindor, »groß wie die Menschen aus den nebligen Hügeln von Hithlum.« Da erzählte ihm Beleg, was er selbst in Taurnu-Fuin suchte; und Gwindor riet ihm ab und sagte, nur die gleichen Qualen würde er leiden, die Túrin erwarteten. Beleg aber mochte Túrin nicht im Stich lassen, und, selber verzweifelt, weckte er in Gwindors Herzen wieder Hoffnung, und zusammen gingen sie weiter, den Orks nach, bis sie aus dem Wald an die Berghänge kamen, die sich zu den kahlen Sanddünen von Anfauglith hinunterzogen. Dort, in Sichtweite der Gipfel von Thangorodrim, schlugen die Orks in einer kahlen Schlucht ihr Lager auf, als das Tageslicht schwand, und nachdem sie ringsum Wölfe als Wachen aufgestellt hatten, machten sie sich ans Zechen. Ein großer Sturm aus Westen kam auf, und Blitzezuckten in der Ferne um die Schattenberge, als Beleg und Gwindor auf die Schlucht zukrochen.
Als alle im Lager schliefen, nahm Beleg seinen Bogen, und in der Dunkelheit erschoss er die Wolfswachen, eine nach der andern und ohne Geräusch. Dann drangen sie unter großer Gefahr ins Lager ein und fanden Túrin an Händen und Füßen gefesselt und an einen verdorrten Baum gebunden; rings um ihn her steckten Messer im Stamm, die man nach ihm geworfen hatte, und er schlief, besinnungslos vor Erschöpfung. Beleg und Gwindor aber schnitten ihn von dem Baum los, hoben ihn auf und trugen ihn aus der Schlucht heraus; doch schon ein kleines Stück weiter oberhalb, in einem Dickicht von Dornbäumen, mussten sie ihn absetzen. Dort legten sie ihn nieder; und nun kam der Sturm ganz nahe. Beleg zog sein Schwert Anglachel und schnitt damit Túrins Fesseln durch; doch das Schicksal war an diesem Tage stärker, denn die Klinge glitt ab, als er die Kettenglieder durchschnitt und ritzte Túrins Fuß. Da erwachte Túrin plötzlich in Wut und Angst, und als er einen mit nackter Klinge über sich gebeugt sah, da sprang er mit einem lauten Schrei auf, im Glauben, die Orks seien wieder da, um ihn zu quälen; und als er so im Dunkel mit ihm rang, packte er Anglachel und erschlug Beleg Cúthalion, ihn für einen Feind haltend.
Doch als er aufstand und sich frei sah, bereit, seine Haut teuer an die eingebildeten Feinde zu verkaufen, da leuchtete ein heller Blitz über ihnen auf, und in seinem Lichtschein sah er Beleg ins Gesicht. Da stand Túrin still und stumm wie ein Stein und starrte entsetzt den Toten an, begreifend, was er getan; und so furchtbar war sein Gesicht im Schein der Blitze, die um sie her zuckten, dass Gwindor sich zu Boden kauerte und die Augen nicht zu erheben wagte.
Doch unten in der Schlucht waren die Orks nun wach, und das ganze Lager war in Aufruhr, denn sie fürchteten sich vor dem Donner, der aus
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