Das Silmarillion
Amon Rûdh; und er ging über das Gras vor dem Eingang der Höhle und schaute nach Osten, Westen und Norden hinaus. Im Norden sah er den Wald von Brethil grün um den Amon Obel in seiner Mitte ansteigen, und dorthin wurden seine Augen wieder und wieder gezogen, er wusste nicht, warum; sein Herz nämlich war vielmehr nach Nordwesten gewandt, wo es ihm schien, dass er, viele Meilen entfernt, an den Rändern des Himmels das Schattengebirge erkennen könne, die Berge seiner Heimat. Abends jedoch sah Túrin nach Westen in die untergehende Sonne, wie sie rot in dem Dunst über den fernen Küsten versank, und das Tal des Narog lag tief in den Schatten dazwischen.
In der Zeit darauf sprach Túrin viel mit Mîm, und wenn er allein bei ihm saß, hörte er seine Wissenschaft und die Geschichte seines Lebens an. Denn Mîm stammte vonZwergen ab, die in alten Zeiten aus den großen Zwergenstädten des Ostens verbannt worden waren, und schon lange vor Morgoths Rückkehr waren sie westwärts nach Beleriand eingewandert; doch sie wurden kleiner an Wuchs und Schmiedekunst und führten ein Leben in Heimlichkeit, mit gebeugten Schultern und flüchtigen Schritten. Bevor die Zwerge von Nogrod und Belegost über die Berge nach Westen kamen, wussten die Elben von Beleriand nicht, wer diese andren seien, und sie machten Jagd auf sie und töteten sie. Später aber ließ man sie in Ruhe, und sie wurden in der Sindarinsprache die Noegyth Nibin, die Kleinzwerge, geheißen. Sie liebten niemanden als sich selbst, und wenn sie auch die Orks fürchteten und hassten, so hassten sie doch die Eldar nicht minder, und ganz besonders die Verbannten; denn die Noldor, so sagten sie, hätten ihnen Land und Heimat geraubt. Lange bevor König Felagund übers Meer gekommen war, hatten sie die Höhlen von Nargothrond entdeckt und mit den Grabungen begonnen; und unter dem Gipfel des Amon Rûdh, des Kahlen Berges, hatten die langsamen Hände der Kleinzwerge in all den langen Jahren, die sie dort schon lebten, gegraben und die Höhlen vertieft, ungestört von den Grauelben der Wälder. Nun aber waren sie hingeschwunden, und in Mittelerde lebte niemand mehr von ihnen als Mîm und seine beiden Söhne; und Mîm war alt, selbst nach der Rechnung der Zwerge, alt und vergessen. Und in seinen Hallen ruhten die Schmiedehämmer, und die Äxte rosteten, und ihres Namens wurde nur noch in alten Geschichten aus Doriath und Nargothrond gedacht.
Doch als das Jahr auf Mittwinter zuging, kam der Schnee in schwereren Wolken von Norden herab, als sie es aus den Flusstälern kannten, und der Amon Rûdh war tief eingeschneit; und sie sagten, die Winter würden härter in Beleriand, je mehr Angbands Macht wachse. Da wagten nur die Verwegensten sich noch hinaus, und manche wurden krank, und alle peinigte sie der Hunger. Doch an einem trüben Winterabend, da erschien plötzlich ein Mann unter ihnen, wie es schien von großer Breite und Leibesfülle, in weißem Mantel und Kapuze; und er trat ohne ein Wort ans Feuer. Und als die Männer erschrocken aufsprangen, da lachte er und warf die Kapuze zurück, und unter seinem weiten Mantel trug er ein großes Bündel, und im Lichte des Feuers sah Túrin wieder Beleg Cúthalion ins Gesicht.
So kehrte Beleg noch einmal zu Túrin zurück, und froh war ihr Wiedersehen; und er brachte aus Dimbar den Drachenhelm von Dor-lómin mit, in der Hoffnung, er könne Túrins Sinn wieder auf andres lenken als auf das Leben in der Wildnis als Anführer einer Räuberbande. Aber noch immer mochte Túrin nicht nach Doriath zurück, und Beleg, der Liebe gegen die Klugheit gehorchend, blieb bei ihm und ging nicht fort, und in dieser Zeit tat er vieles zum Wohl von Túrins Häuflein. Die Verwundeten und Kranken pflegte er, und er gab ihnen von Melians Lembas ; und sie wurden rasch geheilt, denn wenn auch die Grauelben an Kunst und Wissen niedriger standen als die Verbannten aus Valinor, so hatten sie in allen Dingen des Lebens von Mittelerde doch Kenntnisse, die über Menschenwissen hinausgingen. Und da Beleg stark und beharrlich war und weit blicken konnte mit Geist und Auge, so genoss er unter den Banditen bald Ansehen; doch Mîms Hass gegen den Elben, der Bar-en-Danwedh betreten hatte, wurde immer größer, und er saß mit seinem Sohn Ibun im tiefsten Schatten seines Hauses und sprach mit keinem. Túrin aber kümmerte sich nun wenig um den Zwerg; und als der Winter vorbeiging und der Frühling kam, gab es härtere Arbeit zu tun.
Wer nun kennt die Ratschlüsse
Weitere Kostenlose Bücher