Das Silmarillion
Landen der Unsterblichen naht. Auch den Vätern der Menschen aus den drei getreuen Häusern wurde reicher Lohn zuteil. Eonwe kam zu ihnen und lehrte sie, und sie empfingen Weisheit und Macht und ein längeres Leben, als es je andre von sterblicher Art genossen. Ein Land wurde geschaffen, wo die Edain wohnen sollten und das weder zu Mittelerde noch zu Valinor gehörte, denn von beiden war es durch ein weites Meer geschieden; doch näher lag es bei Valinor. Es wurde von Osse aus den Tiefen des Großen Wassers emporgehoben, von Aule verankert und von Yavanna geschmückt; und die Eldar brachten aus Tol Eressea Blumen und Brunnen herbei. Dies Land nannten die Valar Andor, das Land der Gabe; und hell leuchtete Earendils Stern im Westen, zum Zeichen, dass alles bereit sei, und als Wegweiser über die See; und die Menschen bestaunten die silberne Flamme auf der Fährte der Sonne.
Da segelten die Edain auf die tiefen Wasser hinaus, dem Sterne nach; und die Valar geboten der See Frieden, viele Tage lang, und schickten Sonnenschein und guten Fahrtwind, dass die Wasser den Edain vor den Augen glitzerten wie flüssiges Glas, und die Gischt flog wie Schnee um den Bug ihrer Schiffe. So hell aber war Rothinzil, dass die Menschen es selbst morgens im Westen leuchten sahen, und in der wolkenlosen Nacht schien es ganz allein, denn kein andrer Stern konnte neben ihm bestehen. Nach ihm bestimmten die Edain ihren Kurs über das weite Meer, und endlich sahensie im Westen das Land, das ihnen bereitet war, Andor, das Land der Gabe, wie es in goldnem Dunste schimmerte. Sie legten an und fanden ein mildes, fruchtbares Land und waren froh. Und sie nannten das Land Elenna, was »dem Stern nach« bedeutet, aber auch Anadûnê, das heißt »Westernis«, Númenóre in der Sprache der Hoch-Elben.
Dies war der Ursprung jenes Volkes, das im Grauelbischen die Dúnedain heißt: das Volk der Númenórer, der Könige unter den Menschen. Dem Schicksal des Todes aber, das Ilúvatar über das ganze Menschengeschlecht verhängt hatte, entgingen sie nicht, obgleich sie lange lebten und keine Krankheit kannten, ehe der Schatten auf sie fiel. So erlangten sie Weisheit und Ruhm und waren in allen Dingen den Erstgeborenen ähnlicher als den andren Menschenvölkern; sie waren von hohem Wuchs, größer als die größten unter den Söhnen von Mittelerde, und ihre Augen schimmerten hell wie die Sterne. Doch ihre Anzahl vermehrte sich im Lande nur langsam, denn zwar wurden ihnen Töchter und Söhne geboren, die noch schöner waren als ihre Eltern, aber es blieben wenige.
Die alte Hauptstadt, zugleich der Hafen von Númenor, lag an der Westküste, und sie hieß Andúnië, weil sie dem Sonnenuntergang zugekehrt war. Inmitten des Landes aber ragte ein hoher und steiler Berg auf, welcher der Meneltarma hieß, der Himmelspfeiler, und auf dem Gipfel war eine Stätte, die Eru Ilúvatar geweiht war, offen und ohne Dach; andre Tempel oder Heiligtümer gab es im Land der Númenórer nicht. Am Fuß des Berges wurden die Grabmäler der Könige erbaut, und nahebei auf einem Hügel lag Armenelos, die schönste aller Städte, und dort standen der Turm und die Zitadelle, die Elros errichtet hatte, Earendils Sohn; und ihn ernannten die Valar zum ersten König der Dúnedain.
Nun stammten Elros und Elrond, sein Bruder, zwar von den Drei Häusern der Edain ab, zum Teil aber auch von den Eldar und von den Maiar; denn Idril von Gondolin und Lúthien, Melians Tochter, waren ihre Ahninnen. Die Valar dürfen zwar die Gabe des Todes, die den Menschen von Ilúvatar zuteil geworden, nicht widerrufen, was aber die Halbelben anging, so überließ Ilúvatar ihnen das Urteil; und ihr Urteil war, dass es den Söhnen Earendils freigestellt sein sollte, ihr eignes Schicksal zu wählen. Und Elrond wählte, dass er bei den Erstgeborenen bleiben wolle, und ihm wurde das Leben der Erstgeborenen gewährt.
Elros aber, der die Wahl traf, ein König der Menschen zu sein, wurde gleichfalls ein langes Leben gewährt, um ein Vielfaches länger als das der Menschen von Mittelerde, und auch alle seine Nachkommen, die Könige und die Fürsten aus dem königlichen Hause, hatten ein langes Leben, selbst nach dem Maß der Númenórer. Elros aber lebte fünfhundert Jahre, und vierhundertundzehn Jahre lang regierte er Númenor.
In all den Jahren, während Mittelerde verfiel, da Licht und Wissen erloschen, lebten die Dúnedain unter dem Schutz der Valar und in Freundschaft mit den Eldar, und sie wuchsen an Leib und
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