Das Silmarillion
brachten sie mit, und sie unterwiesen die Menschen, wie die Saat auszusäen und das Korn zu mahlen, wie das Holz zu schnitzen und der Stein zu meißeln sei und wie sich das Leben ordnen lasse; so gut es ging in den Landen frühen Tods und dürftigen Glücks.
Da waren die Menschen von Mittelerde gestärkt, und hier und da an den westlichen Küsten wichen die hauslosen Wälder zurück, und Menschen schüttelten das Joch von Morgoths Sprösslingen ab und verlernten die Angst vor dem Dunkel. Und sie hielten das Andenken der hochgewachsenen Seekönige in Ehren und nannten sie Götter, nachdem sie wieder abgefahren, und hofften auf ihre Rückkehr; denn damals blieben die Númenórer niemals lange in Mittelerde, noch gründeten sie eigene Wohnsitze dort. Gen Osten mussten sie segeln, doch gen Westen kehrten stets ihre Herzen zurück.
Immer größer wurde nun diese Sehnsucht mit den Jahren, und die Númenórer begannen nach der Stadt der Unsterblichen zu hungern, die sie von fern sahen, und der Wunsch, ewig zu leben, dem Tode zu entgehen, dem Ende aller Freuden, wurde stark in ihnen; und mit ihrer Macht der Herrlichkeit wuchs auch ihre Unrast. Denn obgleich die Valar die Dúnedain mit langem Leben belohnt hatten, die Müdigkeit der Welt, die zuletzt doch kommt, konnten sie ihnen nicht abnehmen, und so starben sie, sogar die Könige aus dem Samen Earendils, und kurz war ihr Leben in den Augen der Eldar. So kam es, dass ein Schatten auf sie fiel – und vielleicht war der Wille Morgoths hier am Werk, der in der Welt noch umging. Und die Númenórer begannen zu murren, zuerst im Herzen und dann auch in offener Rede, gegen das Verhängnis der Menschen und am meisten gegen den Bann, der ihnen verbot, in den Westen zu fahren.
Und sie sprachen unter sich: »Warum sitzen die Herren des Westens dort in nie endendem Frieden, doch wir müssen sterben und gehen, ohne zu wissen wohin, und unser Haus zurücklassen und alles, das wir geschaffen? Und die Eldar sterben nicht, selbst jene nicht, die sich aufgelehnt gegen die Herren. Und da wir doch alle Meere gemeistert und kein Wasser so wild oder weit ist, dass unsre Schiffe nicht hinüberfänden, warum dürfen wir nicht nach Avallóne fahren, um unsre Freunde zu grüßen?«
Und manche gab es, die sagten: »Warum sollten wir nicht auch nach Aman fahren und dort vom Glück der Mächte kosten, und sei es auch nur für einen einzigen Tag? Sind wir denn nicht mächtig unter den Völkern von Arda?«
Die Eldar berichteten diese Worte den Valar, und Manwe war in Sorge, denn eine Wolke sah er heraufziehen über den Mittag von Númenor. Und er sandte Boten zu den Dúnedain, die zu dem König und allen, die hören wollten, eindringliche Worte sprachen, das Schicksal und den Lauf der Welt betreffend.
»Das Schicksal der Welt«, sagten sie, »es kann der Eine nur ändern, der sie erschaffen. Und kämet ihr auf eurer Fahrt durch allen Trug und alle Gefahr wirklich nach Aman ins Segensreich, wenig würde es euch nützen. Denn nicht Manwes Land macht seine Bewohner unsterblich, sondern die Unsterblichen, die dort wohnen, haben das Land geheiligt; ihr aber müsstet nur verdorren und würdet die Welt umso früher leid, wie Motten, wenn das Licht zu heiß ist.«
Der König aber erwiderte: »Und lebt den Earendil nicht, mein Vorvater? Und ist er nicht im Lande Aman?«
Worauf die Boten antworteten: »Du weißt, sein eigenes Schicksal hat er, und den Erstgeborenen wurde er gleichgestellt, die nicht sterben; doch auch dies wurde über ihn gesprochen, dass er nie mehr in die Lande der Sterblichen zurückkehren darf. Du und dein Volk aber, ihr gehört nicht zu den Erstgeborenen, sondern sterbliche Menschen seid ihr, so wie euch Ilúvatar geschaffen. Es scheint, die Vorteile beider Geschlechter wollt ihr genießen, nach Valinor zu fahren und wieder heimzukehren, wenn es euch beliebt. Dies kann nicht sein. Auch können die Valar Ilúvatars Gaben nicht wegnehmen. Die Eldar, so sagt ihr, bleiben straflos, und selbst die, welche sich aufgelehnt, sterben nicht. Doch weder Lohn noch Strafe ist dies für die Eldar, sondern Erfüllung ihres Seins. Sie können diese Welt nicht fliehen und sind gehalten, sie nie zu verlassen, solange sie dauert, denn die Welt ist ihr Leben. Und ihr, so sagt ihr, werdet bestraft für den Aufruhr der Menschen, an dem ihr nicht teilgehabt, und müsstet deshalb sterben. Nicht zur Strafe aber war dies euch zu Anfang bestimmt. Ihr entflieht und verlasst die Welt und seid nicht an sie
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