Das Silmarillion
Geist. Denn obgleich das Volk noch die eigene Sprache gebrauchte, kannten und sprachen die Könige und die Edlen zugleich auch das Elbische, das sie in den Tagen der Bundesgenossenschaft erlernt hatten; und sie verkehrten noch mit den Eldar, ob mit denen aus Eressea, aus dem Westen oder aus Mittelerde. Und die Gelehrten unter ihnen lernten auch das Hoch-Eldarin, die Sprache des Segensreiches, worin viele Geschichten und Lieder vom Anbeginn der Welt erhalten waren; und sie schufen Buchstaben, Schriftrollen und Bücher, und in der Glanzzeit ihresReiches schrieben sie viele Dinge von Wunder und Weisheit auf, die heute sämtlich vergessen sind. So kam es, dass alle Fürsten der Númenórer neben ihrem gewöhnlichen Namen einen zweiten Namen im Eldarin trugen; und ebenso die Städte und Lustschlösser, die sie in Númenor und an den Küsten der Hinnenlande erbauten.
Denn die Númenórer wurden mächtig in allen Künsten, und wäre es ihre Absicht gewesen, so hätten sie leicht die üblen Könige von Mittelerde in der Kriegführung und im Waffenschmieden zu übertreffen vermocht; doch waren sie friedliebende Menschen geworden. Vor allen anderen Künsten pflegten sie den Schiffbau und die Seefahrt, und sie wurden zu Seefahrern, die in der seither verkleinerten Welt nie wieder ihresgleichen haben werden; und Fahrten über die weiten Meere waren die Heldentaten und Abenteuer ihrer unerschrockenen Männer in den Tagen ihrer Jugend.
Doch verboten ihnen die Herren von Valinor, so weit nach Westen zu segeln, dass die Küsten von Númenor nicht mehr sichtbar waren; und lange Zeit waren die Dúnedain es zufrieden, obgleich sie den Sinn dieses Banns nicht recht verstanden. Manwes Absicht aber war, dass die Númenórer nicht versucht sein sollten, das Segensreich zu betreten oder die Grenzen zu überschreiten, die ihrem Glück gesetzt waren, wenn es sie nach der Unsterblichkeit der Valar und der Eldar verlangte und nach den Landen, wo alles von Dauer ist.
Denn in jenen Tagen lag Valinor noch in der sichtbaren Welt, und Ilúvatar erlaubte den Valar, dort einen Sitz auf Erden zu unterhalten, ein Andenken dessen, was hätte sein können, wäre nicht Morgoths Schatten auf die Welt gefallen. Den Númenórern war dies wohlbekannt, und bisweilen, wenn die Luft ganz klar war und die Sonne im Osten stand, hielten sie Ausschau und erblickten ganz weit im Westeneine weiß leuchtende Stadt auf einem fernen Gestade, mit einem großen Hafen und einem Turm. Damals waren die Númenórer weitsichtig; dennoch konnten nur die mit den schärfsten Augen dies sehen, vom Meneltarma herab oder von einem hochmastigen Schiff, das so weit, wie es erlaubt war, vor ihrer Westküste lag. Denn sie wagten es nicht, den Bann der Herren des Westens zu brechen. Die Weisen unter ihnen aber wussten, dass dies ferne Land noch nicht das Segensreich von Valinor war, sondern Avallóne, der Hafen der Eldar auf Eressea, dem am weitesten östlich gelegenen der Unsterblichen Lande. Und von dort kamen bisweilen die Erstgeborenen nach Númenor gefahren, in ruderlosen Booten, wie weiße Vögel aus der untergehenden Sonne. Und vielerlei Geschenke brachten sie mit: Singvögel und duftende Blumen und Kräuter von großer Heilkraft. Und sie brachten auch einen Setzling von Celeborn, dem Weißen Baum, der inmitten von Eressea wuchs, und der wiederum war ein Setzling von Galathilion, dem Baum von Túna, dem Abbild Telperions, das Yavanna den Eldar im Segensreich geschenkt hatte. Und der Baum wuchs und blühte in den Königsgärten von Armenelos; Nimloth wurde er genannt, und seine Blüten öffneten sich des Abends und erfüllten die Schatten der Nacht mit ihrem Duft.
So gingen unter dem Bann der Valar die Fahrten der Dúnedain in jener Zeit immer nach Osten und nie nach Westen, von der Dunkelheit des Nordens bis zur Hitze des Südens und über den Süden hinaus in die Niedere Dunkelheit; sogar bis in die inneren Meere kamen sie und umrundeten Mittelerde; und von ihren hohen Steven erblickten sie die Tore des Morgens im Osten. Und bisweilen kamen die Dúnedain an die Ufer der Großen Lande, und sie erbarmten sich der verlassenen Welt von Mittelerde. In den DunklenJahren der Menschen setzten die Herren von Númenor wieder Fuß auf die westlichen Ufer, und noch wagte keiner, ihnen zu widersprechen. Denn die meisten Menschen jenes Zeitalters unter dem Schatten waren nun schwach und furchtsam geworden. Vieles lehrten sie die Númenórer, als sie zu ihnen kamen. Den Weizen und den Wein
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