Das Silmarillion
vernichteten sie, einen nach dem andern. Sie schwanden dahin mit den Jahren, bis von ihrem Ruhm nur noch grüne Hügel im Grase blieben. Und am Ende war nichts mehr übrig von ihnen als ein paar Sonderlinge, die heimlich durch die Wildnis schweiften; und andre Menschen wussten nicht, wo sie zu Hause waren, noch welchem Zweck ihr Umherwanderndiente. Nur in Imladris, in Elronds Haus, war ihre Abkunft nicht vergessen. Isildurs Erben aber hielten die Hälften von Elendils Schwert viele Menschenleben lang in Ehren, und ihre Linie, von Vater zu Sohn, blieb unerloschen.
Das Reich von Gondor im Süden bestand fort, und eine Zeitlang wuchs sein Glanz, bis es an Númenors Macht und Reichtum vor seinem Untergang erinnerte. Hohe Türme bauten die Menschen von Gondor und starke Festungen und Häfen für viele Schiffe; und der Flügelkrone der Menschenkönige begegneten die Völker vieler Länder und Zungen in Ehrfurcht. So manches Jahr lang wuchs der Weiße Baum vor dem Hause des Königs in Minas Anor, aus dem Samen jenes Baumes, den Isildur über das weite Meer von Númenor mitgebracht hatte; und der Same vor diesem war aus Avallóne gekommen, und der davor aus Valinor, am Tage vor Beginn aller Tage, als die Welt jung war.
Zuletzt aber, durch die flüchtigen Jahre von Mittelerde ermüdet, verfiel Gondor, und die Linie von Meneldil, Anárions Sohn, erlosch. Denn das Blut der Númenórer vermischte sich vielfach mit dem anderer Menschen, und ihre Macht und Weisheit schwanden, sie wurden kurzlebiger, und die Wache gegen Mordor wurde nachlässig. Und zur Zeit Telemnars, des Dreiundzwanzigsten in der Linie Meneldils, kam eine Seuche auf dunklen Winden von Osten, und sie raffte den König und seine Kinder hinweg, und viele Menschen in Gondor kamen um. Da wurden die Wachtürme an den Grenzen nach Mordor verlassen, und Minas Ithil wurde entvölkert; und das Böse schlich wieder heimlich ins Schwarze Land, und wie unter einem kalten Wind regten sich die Aschen von Gorgoroth, denn finstere Wesen versammelten sich dort. Es wird gesagt, dies seien die Ulairi gewesen, die Sauron die Nazgûl nannte, die Neun Ringgeister, die sich lange versteckt gehalten hatten und nun zurückkehrten, um ihrem Meister den Weg zu ebnen, denn er hatte wieder zu wachsen begonnen.
Zur Zeit Earnils führten sie den ersten Streich. Sie kamen bei Nacht über die Pässe des Schattengebirges aus Mordor und nahmen Minas Ithil zu ihrem Sitz; und sie machten daraus eine Stätte des Entsetzens, die keiner mehr anzusehen wagte. Darauf wurde es Minas Morgul genannt, die Feste der Magie; und Minas Morgul lag immer im Krieg mit Minas Anor im Westen. Dann wurde Osgiliath, von dem schwindenden Volke seit langem verlassen, eine Stadt der Trümmer und Schatten. Minas Anor aber hielt aus, und es wurde in Minas Tirith umbenannt, die Feste der Wachsamkeit, denn dort ließen die Könige in der Zitadelle einen weißen Turm aufrichten, sehr hoch und schön, und von dort blickte man auf viele Länder. Noch war die Stadt mächtig und stolz, und eine Zeitlang noch blühte der Weiße Baum vor dem Hause der Könige, und noch verteidigten dort die letzten Überreste der Númenórer den Flussübergang gegen die Schrecknisse Mordors und gegen alle Feinde des Westens, gegen Orks und Ungeheuer und üble Menschen; und die Länder dahinter, westlich des Anduin, blieben vor Krieg und Zerstörung bewahrt.
Auch nach der Zeit von Earnur, Earnils Sohn und letzter König von Gondor, hielt Minas Tirith noch stand. Earnur war es, der allein vor die Tore von Minas Morgul ritt, um sich dem Morgulfürsten zu stellen; und er begegnete ihm im Zweikampf, doch wurde er von den Nazgûl betrogen und lebend in die Stadt der Qualen geschleppt; und kein Lebender hat ihn je wiedergesehen. Earnur hinterließ keinen Erben, und als nun die Linie der Könige erloschen war, regierten die Truchsessen aus dem Hause Mardils des Getreuen die Stadtund das schrumpfende Reich; und die Rohirrim, die Reiter aus dem Norden, kamen und ließen sich in der grünen Ebene von Rohan nieder, die zuvor Calenardhon hieß und ein Teil des Königreiches von Gondor gewesen war; und die Rohirrim halfen den Herren der Stadt in ihren Kriegen. Und im Norden, jenseits der Wasserfälle von Rauros und der Tore von Argonath, gab es noch andere Verteidiger, ältere Mächte, von denen die Menschen wenig wussten und gegen welche die Geschöpfe des Unheils nicht vorzugehen wagten, solange die Zeit nicht reif war und ihr dunkler Herr, Sauron, von neuem
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