Das singende Kind
aus venezianischem Glas um, in der eine aufgeblühte Rose dekoriert war. Er hatte Glück. Das Glas zerbrach nicht. Doch das Wasser weichte eine lose Zigarette auf. Lief in ein Theaterglas. Ein Feuerzeug. In die Schlüssel. Die vom Auto waren nicht dabei.
Antes steckte die Hände in die Taschen seiner Leinenhose und zog einen Zehnmarkschein heraus und eine Rothmans. Er nahm das Feuerzeug von der Konsole und versuchte, die Zigarette anzuzünden. Doch es spuckte nur kurz und erstarb.
Auf dem Stuhl neben der Garderobe lag der Seidenmantel seiner Mutter. Felix Antes ging hin und griff sich den Mantel. Ein paar Münzen. Ein Parkschein. Sonst war nichts zu holen.
Das Auto stand vor der Tür. Sie hatte es stehenlassen. Nur die Schlüssel mitgenommen. Sie entmündigte ihn. Gönnte ihm nicht die Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wurde, wenn er mit diesem Wagen vorfuhr. Felix Antes haßte es, zu Fuß zu gehen. Haßte es noch viel mehr, mit der Untergrundbahn zu fahren. Er kriegte Ausschlag von dem, was er dort anfaßte. Kleine rosa Flecke, die seine Hände bedeckten, daß er mit ihnen nicht mal Klavier spielen mochte und sie vor seinen eigenen Blicken versteckte, bis die Handrücken wieder glatt waren und weiß.
Er holte die Ziegenlederhandschuhe aus der Kommode in seinem Schlafzimmer, ehe er das Haus verließ. Dünnes Leder. Weich. Dennoch würden die Menschen spöttisch schauen an diesem warmen Juninachmittag. Er verachtete sie dafür. Im voraus.
Felix Antes ging das kurze Stück zur Station der Untergrundbahn und wechselte widerwillig den Zehnmarkschein für das Ticket. Er fuhr vier Stationen. In der dritten glaubte er auf dem Bahnsteig gegenüber die Frau zu erkennen, die ihm nach Hause gefolgt war. Sie wurde halb verdeckt von einem Mann mit Koffern, der an der Kante stand. Als sie losfuhren, sah Felix Antes, daß er sich geirrt hatte.
Georg fing an, sich das Herz festzuhalten. Ein Griff, der ihm bald schon Gewohnheit war, auch wenn das Herz nicht schmerzte. Doch oft genug tat es das. Dann drückte Georg den Handballen an die linke Brust, ließ die Hand vorsichtig kreisen und versuchte, tiefer zu atmen. Er glaubte, dabei seinen Vater zu sehen, tief atmend und in der gleichen Bewegung. Die Erinnerung täuschte ihn. Georgs Vater hatte sich nie das Herz festgehalten.
Georg öffnete die oberen Knöpfe seines Hemdes und schob die aufgekrempelten Ärmel hoch. Heute hatte er das Gefühl zu ersticken. Er legte die Hand an die Brust und begann die Massage und brach sie sofort wieder ab, als er Trudis Schlüssel in der Tür hörte.
Trudi durfte ihn nicht dabei erwischen. Georg hatte Angst vor ihrer Angst, die sein Herz noch mehr aus dem Takt bringen würde. Er wollte sich auch nicht drängen lassen, zum Arzt zu gehen. Georg legte keinen Wert darauf zu wissen, ob es einen organischen Grund gab für den Druck. Er war bereit, mit ihm zu leben und ihn allein verantwortlich zu machen für das Unglücklichsein.
Die Tür zu seinem Arbeitszimmer hatte er nicht geschlossen, nur angelehnt. Ein Zeichen für Trudi, einzutreten und ihn kurz in der Arbeit zu unterbrechen, um einen guten Tag zu wünschen. Doch Trudi trat nicht ein. Sie blieb im Flur stehen und schleuderte ihre Schuhe von sich, daß sie an die untere Schublade des schwarzlackierten Schränkchens stießen. Georg kannte das Geräusch und die Spuren, die das hinterließ. Dann griff Trudi nach einer Tüte, die sie gegen den Türrahmen gelehnt hatte, und ging nach hinten.
Bücher. Trudi war schon lange nicht mehr in der Leihbücherei gewesen. Doch diesmal hatte sie sich wohl wieder ein paar Liebesromane geholt. Der Druck in Georgs Brust wurde ein wenig schwächer. Die Vorstellung, daß Trudi sich in den schweren alten Sessel zurückzog, der neben ihrem Schrank stand, und dort den Tag verlas, war ihm vertraut. Georg fühlte Boden unter den Füßen.
Er stand auf, um das Fenster zu öffnen und noch einmal tief Luft zu holen, ehe er Trudi über den Flur folgte. Die Wipfel der Kastanien schwankten im Wind. Dabei kam es ihm vor, als wäre der Himmel aus Beton und die Luft eine zähe Masse, die nur von rotierenden Messern bewegt werden könnte.
Trudi hatte die Tür zum Schlafzimmer geschlossen. Georg sah durch die geriffelten Scheiben nichts anderes als das Schimmern des Tageslichtes und im unteren Drittel den schwarzen Teppich. Er drückte die Klinke, die ausgeleiert war und die Tür gleich freigab. Trudi drehte sich zu ihm hin. Er hatte sie ertappt und wußte nur noch nicht,
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