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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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wobei. »Zeig mir die Bücher«, sagte er.
    Trudi wußte ganz offensichtlich nicht, wovon er sprach. Sie weitete nur die Augen und schien Schlimmes zu erwarten.
    »Die Romane«, sagte er, »hast du nichts aus der Bücherei geholt?« Er sah sich nach der Tüte um.
    »Ich lese nicht mehr soviel«, sagte Trudi.
    »Und die Tüte?«
    Trudi schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Tüte«, sagte sie und sah auf Georgs Hand, die auf seiner Brust lag.
    Georg ließ sich auf das Bett fallen. Trudi verschwamm ihm vor den Augen. Auch der Schrank, dessen Türen offenstanden. War es das gewesen, was sein Vater empfunden hatte, als er starb? Georg kam wieder hoch, und sein Blick konzentrierte sich auf etwas, das im Schrank war. Das Bild wurde schärfer und stellte schließlich eine Plastiktüte bloß, die in Trudis Wäsche lag. Eine vollgepackte Tüte. Georg hob einen Arm, um darauf zu zeigen. Doch dann spürte er einen heftigen Schmerz in dem Arm, und es wurde ihm schlecht.
    »Sie hätten dich nicht schon laufenlassen sollen«, sagte Jos. Er stellte Georg eine Schale Tee auf den Schreibtisch und sah ihn an. »Dir fehlt die Farbe im Gesicht. Du solltest ein Steak essen.«
    »Quäl mich nicht. Sonst wird mir wieder schlecht.«
    »Seid ihr wenigstens mit dem Taxi gekommen?«
    »Das Herz ist in Ordnung. Stemple mich nicht zum Kranken ab. Trudi ißt schon gar nichts mehr vor lauter Sorge.«
    »Du bist es, der umgekippt ist.« Jos klang gereizt.
    »Ich habe dich schon mal gebeten, keine Aggressionen gegen Trudi zu entwickeln. Es jongliert sich eben nicht jeder so fabelhaft durchs Leben, wie du es tust.«
    »Ja«, sagte Jos. »Ich bin ein großer Jongleur. Werfe das Leben in die Luft und fange es auf. Bis ich eines Tages danebengreife, und es mich erschlägt.«
    »Tut mir leid, daß wir deinen Geburtstag nicht feiern konnten.«
    »Wir haben doch Sekt in deinem Vierbettzimmer getrunken.«
    »Die ganzen Untersuchungen hätten die bestimmt auch ambulant machen können«, sagte Georg.
    »Außerdem waren Trudi und ich ja abends noch essen.«
    »Warum weiß ich nichts davon?«
    »Trudi war dir absolut treu und hat nur Gemüse gegessen.«
    »Wo seid ihr hingegangen?«
    »In eine aufregende Pizzeria in der Nähe des Krankenhauses.«
    »Gib mir noch Tee«, sagte Georg.
    »Deine Schale ist voll.«
    Georg trank den kalt gewordenen Tee in einem Zug und hielt Jos die Schale hin. »Trudi hat dich angerufen und nicht den Krankenwagen.«
    »Trudi wird selten von Vernunft gelenkt«, sagte Jos. Er nahm die Teeschale und behielt sie in der Hand. »Ihr wart beide nicht klar im Kopf. Ich lege dir einen kalten Lappen auf die Brust, und du kommst hoch und stammelst was von einer Tüte.«
    »Trudi hatte sie vor mir im Schrank versteckt.«
    »Was war drin in der Tüte?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Georg, »ziemlich viel Zeugs. Vielleicht die Dinge, die Trudi dabeihat, wenn sie ihren Liebhaber trifft.«
    »Solch kompliziertes Gerät braucht sie heute nicht mehr, um ein Pessar einzusetzen.«
    »Kannst du dir vorstellen, daß Trudi mich betrügen würde?«
    »Dazu müßte sie erst ihre Trägheit überwinden.«
    »Dich ruft sie an, wenn ich im Sterben liege, und trotzdem beurteilst du sie so streng?«
    »Warum denkst du eigentlich ständig ans Fremdgehen?«
    »Sie ist so seltsam, seit sie von der Dux weg ist.«
    »Du hast nur ein schlechtes Gewissen«, sagte Jos, »schließlich warst du es, der ihr die Kunst vermasselt hat.«
    Georg stand auf und griff nach der Teeschale in Jos' Hand. »Gib her«, sagte er, »der Alltag hat mich wieder.«
    »Hast du noch mal nach der Tüte gesehen?«
    »Die war nicht mehr da.«
    »Wahrscheinlich war eine Babypuppe drin«, sagte Jos.

Eines Mittags hatte Georg aufgehört zu essen, was getötet werden mußte, um in seinen Magen zu kommen. Kein Schlachthof war ihm vor den Augen gewesen, als er das mit sich ausmachte. Kein Lamm auf einer Wiese. Eine Scheibe Schmorbraten lag auf seinem Teller. Ohne Fett. Ohne Sehnen. Ohne Knorpel. Seine Mutter hatte sich vom Metzger ein gutes Stück Fleisch geben lassen. Zur Feier des Tages. Es war Georgs Konfirmation gewesen.
    Seine Tante räumte den Teller ab und schien zu beschäftigt, das Geschirr in die Küche zu tragen und für das Abendessen zu spülen, um ihn auf den Schmorbraten anzusprechen. Es blieb an diesem Tag unbeachtet, daß Georg Vegetarier geworden war.
    Die Kämpfe kamen erst noch, obwohl in seinem Elternhaus nicht offen gekämpft wurde. Es war ein kalter Krieg zwischen Georg und Grete

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