Das singende Kind
erhoffte. Er fand sie dramatisch und sehr kindlich und wunderschön.
Georg war nicht der Mann, der auf den ersten Blick liebte. Das überließ er Jos. Doch dieses Mädchen wollte er behalten. Er wußte es, als er mit ihr nach Hause ging. Trudis Zuhause. Das Haus der Lafleurs. Er hatte davorgestanden und sich geweigert, hineinzugehen, und sie nur schüchtern geküßt. Die Schüchternheit nahm Trudi ganz und gar für ihn ein. Sie hatte das Gefühl gehabt, daß keine Gefahr von ihm ausging, und war bereit, sich ihm anzuvertrauen.
Trudis Vater schickte eine Karte aus Nizza. Die Ansicht von einer großen Hand, in der eine kleine Hand lag. Er schrieb nichts von Enkelkindern, doch Trudi litt schon länger an dieser Erwartung der Eltern, die noch größer war als der Wunsch, Trudi möge etwas Besonderes sein. Eine Künstlerin. Eine Friedenskämpferin.
Trudi legte die Karte auf den Küchentisch, wo Georg sie fand. Er stellte den Korb mit den Vollkornbrötchen darauf, daß sie ihm aus dem Blick kam. Trudi hatte keinen Hunger mehr, als sie sich zum Frühstück setzten, und sie aß lange an ihrem Brötchen und war noch nicht fertig damit, da räumte Georg den Tisch schon ab.
Sie ließ es auf dem Teller liegen und stand auf. Würgte an der Wortlosigkeit und begann zu husten. Georg klopfte ihr auf den Rücken. Sie haßte ihn für seine Fürsorge und fühlte sich ein paar Sekunden später schlecht deswegen.
Trudi verließ die Wohnung und sagte wieder nicht, wohin sie ging. Sie nahm die Untergrundbahn, und diesmal mit einem bestimmten Ziel. Sie hatte keinen Termin bei dem Arzt, doch sie wurde zwischen die Termine der anderen geschoben, weil sie unglücklich aussah. Trudi saß lange im Wartezimmer und guckte auf einen Druck an der Wand. Die Abbildung eines großen, eines nicht so großen und eines kleinen Fußes. Als sie aufgerufen wurde, wäre sie gerne wieder gegangen. Sie hatte das Gefühl, verfolgt zu werden.
»Ist alles in Ordnung bei dir?« fragte Jos. »Ich spreche diesmal nicht von deiner Potenz, nur von deiner Zeugungsfähigkeit.«
»Soll das ein Gespräch unter Männern werden?«
»Trudi hat sich untersuchen lassen.«
»Da weißt du mehr als ich«, sagte Georg, »was fehlt ihr?«
»Sie wartet noch auf ein paar Ergebnisse. Aber es sieht so aus, als fehle ihr nichts.«
»Warum erzählt sie das alles dir?« Georg schluckte an irgendwas Dickem in seinem Hals. Er hatte Angst, das Weinen anzufangen.
»Ihr fürchtet euch doch voreinander«, sagte Jos. Er ging zu Georg und legte ihm die Hände auf die Schultern. Er war ein gutes Stück größer als Georg. »Es scheint wirklich ein Gespräch unter Männern zu werden. Aber du kannst trotzdem mal losheulen.«
Georg wehrte ihn ab. Er zog sich hinter seinen Tisch zurück und spannte ein Blatt Papier in die Schreibmaschine. »Denk doch an das Kind, das Dott erwartete«, sagte er.
»Ja und?« fragte Jos. Er setzte sich auf den Tisch und sah Georg an. »Warum kommst du jetzt damit?«
»Spricht das nicht für meine Zeugungsfähigkeit?« fragte Georg. Er fing an zu schreiben.
Jos hatte Mühe, beherrscht zu bleiben und ihm nicht das Blatt aus der Maschine zu zerren. »Georg, was ist los mit dir? Du weißt, daß das Kind von mir war.«
»Ja«, sagte Georg, »natürlich. Entschuldige.«
»Was für eine Dunkelkammer gibt es da in deinem Leben, die ich nicht kenne?« fragte Jos.
Georg hörte auf zu tippen. »Es geht mir nicht gut, ich bin angespannt.«
»Könnt ihr nicht verreisen? Nach Nizza vielleicht. Ich gebe euch mein Auto. Auf das Singende Kind wartet sowieso keiner.«
»Ich bin seit Jahren nicht gefahren, und Trudis Eltern würden alles nur noch schlimmer machen.«
»Sag mir doch, was los ist«, sagte Jos, »ich bin dein bester Freund. Herrgott noch mal. Ich komme mir schon vor, als ob ich die gute alte Lassie geben würde.«
»Wir verkrampfen uns wahrscheinlich viel zu sehr. Trudi und ich. Darum kommen keine Kinder dabei raus.«
»Trudi ist doch toll im Bett.«
Georg sah auf. »Woher weißt du das?« fragte er.
»Du hast es in besseren Zeiten oft genug erwähnt.«
Georg nickte. »Das Herz tut mir weh«, sagte er, »mein Vater hat auch aus heiterem Himmel einen Herzschlag gekriegt.«
»So heiter war der Himmel nicht.«
»Denkst du, daß ich auch bald tot sein werde?«
»Laß dich untersuchen«, sagte Jos, »dein Herz und deine Hoden.«
Felix Antes riß die Schublade aus der Konsole, kippte den Inhalt auf den graugeäderten Marmor und stieß dabei eine Vase
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