Das singende Kind
gerade ein Auge zukniff und mit dem anderen durch eine Schliere in der Fensterscheibe schaute. »Nicht das, was du denkst«, sagte er, »ich habe heute nacht ihren Schrank durchwühlen wollen, und sie ist leider darüber wach geworden.«
»Schrecklich«, sagte Jos, »und was hast du vermutet in dem Schrank? Den Liebhaber oder die Tüte?«
»Was gäbe ich darum, wenn ich so lässig sein dürfte wie du.«
»Wann kommt Trudi?«
»Sie ist da, sie sitzt hinten.«
»Verkriecht sie sich vor mir?«
»Gäbe es einen Grund?« fragte Georg.
»Keine Ahnung«, sagte Jos. Er drehte sich zu Georg und suchte in seinem Gesicht nach den üblichen Zeichen des Mißtrauens. »Frag Trudi, ob sie mitkommt. Ich muß los. Ich habe einen Termin. Sonst überlegt es sich der Herr noch anders.«
»Ich möchte das Bild sehen. Geht das?«
»Komm einfach mit rein, und sieh dir Goldie an.«
»Ja«, sagte Georg, »ich will sie kennenlernen.«
Jos und Georg stiegen zu den Klängen einer Choralfuge aus dem Auto. Felix Antes spielte sie gerade zum zwölftenmal und mit zunehmender Gereiztheit. Die Fuge klang lahm unter seinen Fingern. Der Versuch, dem Flügel die Gewalt einer Orgel zu entlocken, war vergeblich.
Trudi blickte zu dem Haus hin, als sie das Klavierspiel hörte. Sie blieb im Auto sitzen und konzentrierte sich darauf, das Loch in der Lehne des Vordersitzes zu betrachten, um Jos und Georg Zeit zu geben, in das Büro des Maklers zu gehen. Dann stieg sie aus.
Hinter den Fenstern wurde die Fuge jetzt zu Tode gehetzt. Das vorgeschriebene Tempo war längst aufgegeben worden, die Töne kamen zu hart und brachen in dem Augenblick ab, als Trudi durch den Vorgarten ging. Trudi stand still. Sie wollte keine Begegnung. Nicht in diesem Haus. Nicht mit Georg nebenan.
Die Steine unter ihren Füßen. Trudi setzte an, den leisesten aller geräuschlosen Schritte zu tun. Sie senkte den Kopf und sah, daß sie auf Betonplatten stand. Platten, wie die vor Cilly Weils Haus. In ihrer Vorstellung hatten runde Kiesel hier gelegen.
Eine sanfte Folge von Tönen. Der Flügel hatte das Wohltemperierte wiedergefunden. Ein Lied von Bach. Trudi ging zur Tür. Gleich müßte ein Sopran einsetzen. Weichet nur, betrübte Schatten. Trudi sah den Namen, den sie suchte, auf der bronzenen Klappe des Briefschlitzes, als der Sopran tatsächlich einsetzte.
Sie hatte angefangen, die Sütterlinbuchstaben zu entziffern, die in die Bronze gestochen waren, als ihr klar wurde, daß es nicht mehr Felix war, der da Klavier spielte. Es mußte die Sängerin sein, die sich selbst begleitete. Trudi spürte es am Spiel, noch ehe sie die schnellen Schritte hörte, die über das Parkett kamen und sich der Haustür näherten.
Er öffnete die Tür, und Trudi sah keine Überraschung in seinem Gesicht. Vielleicht erkannte er sie nicht einmal. Obwohl er ihr Handgelenk griff und sie mit sich zog, als habe sie für eine gemeinsame Flucht bereitgestanden. Es war der gleiche Griff, den er damals gehabt hatte, und wieder folgte sie ihm.
Folgte ihm zu einem Kabrio, das ein paar Plätze vor dem Citroën geparkt stand, und da gab er ihre Hand frei. Er holte einen Autoschlüssel aus der Tasche und wirkte entspannter. Trudi dachte an Fahrten im Kabrio, als er plötzlich in ihr Gesicht faßte, die Backenknochen zusammendrückte und seinen Mund auf ihren preßte. Trudi hätte ihn abgewehrt, wäre sie nicht mit dem viel größeren Schmerz zwischen ihren Beinen beschäftigt gewesen. Der Autoschlüssel. Er stieß ihr den Schlüssel in die Scheide.
Trudi kam los und lief zu Jos' Auto. Zerrte an der Klinke, die diesmal sofort nachgab und sie einließ. Trudi kauerte sich in den Sitz und schob gerade die Hand in ihre Hose, deren Seide zerrissen war, da hörte sie die Stimmen von Jos und Georg. Doch sie gingen gleich wieder unter im Getöse eines zu gewaltsam startenden Jaguars.
Georg guckte auf Trudi, die in ihrem Sitz hing und in sich hineinzukriechen schien. Kauernde Stellung. Genau die, die er eben bei einer Nackten gesehen hatte. Georg stellte sich Trudi kauernd und nackt vor. Die Brüste in Ultramarinblau.
»Ich habe den Autoschlüssel liegenlassen«, sagte Jos.
Georg nickte. Er blickte Jos nach und stützte sich auf das heiße Dach des Citroën. Doch er zog den Ellbogen rasch zurück und rieb die rote Stelle auf der zu hellen Haut. Dann beugte er sich vor, um noch mal auf Trudi zu gucken. Durch die Scheibe.
Trudi hatte die kauernde Stellung aufgegeben und kurbelte die Scheibe herunter. »Deine
Weitere Kostenlose Bücher