Das singende Kind
ist.«
Jos hob die Schultern. »Bei einer Freundin«, sagte er, »um ihr das ganze Elend mit dir zu erzählen. Dann haben sie entschieden, daß was anders werden muß, und sich gegenseitig Schminktips gegeben.«
»Du bist ein großer Vereinfacher.«
»Ich wette, es war so.«
»Trudi hat gar keine Freundin.«
»Weißt du das alles so genau?«
»Ich weiß nichts mehr«, sagte Georg.
»Du hast Trudi immer zu fest an der Kandare gehabt. Kein Wunder, daß sie sich losreißen will.«
»Bist du schon in den Fluchtplan eingeweiht?«
»Nein«, sagte Jos, »und wenn, würde ich wohl versuchen, Trudi zum Bleiben zu bewegen. Wider besseres Wissen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ich halte viel vom Durchhalten«, sagte Jos, »doch ihr beide tut euch nicht gut.« Er sah zu Georg, um zu sehen, wie das Gesagte auf ihn wirkte. Doch Georg guckte nur weiter düster vor sich hin und hob kaum den Kopf.
»Hast du das immer schon so gesehen?« fragte er.
»Die Erkenntnis ist ziemlich neu«, sagte Jos.
»Ich hätte dir nichts von meinen Schwierigkeiten sagen sollen.«
»Deine tauben Hoden?«
Georg zuckte zusammen. »Du bist gemein.«
»Es tut mir leid, ich denke nicht so salopp, wie ich rede.« Jos ging zu Georg und zerwühlte ihm die weichen Haare. »Entschuldige«, sagte er, »ich habe eine anstrengende Nacht gehabt. Ich bin nicht ganz zurechnungsfähig.«
»Eine Frau?«
»Ja«, sagte Jos. »Hast du mit Trudi gesprochen?«
»Über die tauben Hoden?«
»Häng dich doch daran nicht auf.«
»Nein«, sagte Georg, »ich hatte noch keine Gelegenheit.«
Jos nickte wie jemand, der genau diese Antwort erwartet hatte. »Tu es bitte bald.«
»Du könntest Trudi doch schwängern, und ich nehme dann alle Schuld auf mich. Wie damals bei Dott.« Georg lachte. »Du dürftest natürlich nicht mit ihr schlafen. Trudi könnte sich künstlich befruchten lassen. Mit deinem Samen. Dann hätte sie ihr Kind.«
»Ist das dein Ernst?« fragte Jos.
»Ein bißchen«, sagte Georg, »ich habe schon mal daran gedacht.«
»Ein guter Gedanke.«
Georg sah Jos aufmerksam an. »Er gefällt dir?«
»Nein«, sagte Jos, »ich denke, damit würden wir uns überfordern.«
»Du weißt, wie sehr ich dir vertraue.«
»Das hat mit Vertrauen nichts zu tun.«
»Du würdest es doch nie mißbrauchen?«
»Nein«, sagte Jos.
»Wer war eigentlich die Frau heute nacht?«
»Du kennst sie nicht«, sagte Jos.
»Du bist doch sonst nicht so diskret.«
Jos seufzte. »Goldie kommt aus Groningen und hängt an mir, weil ich Holländisch verstehe.«
»Das rutscht ja einen Tick zu glatt aus dir heraus.«
»Was soll das?« fragte Jos. »Brauche ich ein Alibi?«
»Ich habe auch eine anstrengende Nacht gehabt und bin nicht ganz zurechnungsfähig«, sagte Georg, »entschuldige.«
»Mach doch nicht so ein Drama daraus. Was ist eigentlich passiert? Sie ist gestern ein paar Stunden später nach Hause gekommen und hat sich heute morgen geschminkt.«
»Du hast geschminkte Frauen immer schon aufregend gefunden.«
»Nein«, sagte Jos, »habe ich nicht.«
»Glaubst du wirklich, daß alles ganz harmlos war?«
Jos atmete durch. Er schöpfte Hoffnung. »Ja«, sagte er.
»Wer sollte denn die Freundin sein?«
»Frag sie doch einfach.«
Georg nickte. »Ich vermute immer das Schlimmste, ich könnte mir sogar noch einreden, du seist ihr Liebhaber. Ich bin nur froh, daß mir heute nacht noch eingefallen ist, daß dein Auto in der Werkstatt steht. Ich hatte mir schon eingebildet, Trudi aus deinem Citroën steigen zu sehen oder zumindest zu hören.«
»Das hat sie gestern abend ganz bestimmt nicht getan«, sagte Jos, »aber den Wagen habe ich wieder.«
»Seit wann?«
»Seit gestern abend.«
»Ich vertraue dir.« Georgs Stimme hörte sich dumpf an. Er hatte die Hände vors Gesicht genommen.
»Verdammt noch mal«, sagte Jos, »das kannst du auch.«
»Ja«, sagte Georg, »entschuldige.«
Achter August. Trudis Vater hatte das Datum am Kopf des Briefes ausgeschrieben und mit einem Kranz kleiner blauer Blumen ummalt. Trudi brauchte einen Moment, um zu verstehen, daß die Mühe nicht dem Tag galt, an dem er den Brief aufgesetzt hatte. Der achte August war der Geburtstag ihrer Schwester Julie gewesen.
Zweitausend Franc. Dein Anteil an der Taschenuhr Deines Großvaters, schrieb Hans Lafleur. Ich hoffe, Du verzeihst uns, daß wir Erbstücke verkaufen. Deine Mutter und ich kommen schlecht aus mit dem Geld, und der Citroën mußte einen neuen Motor haben. Ich wünschte, wir
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