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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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Tür ist offen«, sagte sie.
    »Du siehst so angstvoll aus«, sagte Georg, »dein ganzer Körper.« Er tat einen Schritt zurück. »Angst vor Entlarvung vielleicht.«
    »Keine Ahnung, wovon du sprichst.« Ihre Stimme klang zu hoch und nicht überzeugend. Trudi hörte es selber. Sie zog ihr T-Shirt über die Hose und hielt es fest, während sie sich zum Haus des Immobilienhändlers drehte. »Hat er da vorn sein Büro?«
    »Nein«, sagte Georg, »zum Garten hin. Warum?«
    »Dann habt ihr es schattig gehabt.«
    Georg schob die Brille hoch und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die zusammengekniffenen Augen. Er öffnete sie und sah immer noch blaue Sprenkel. »Ist dir heiß geworden?« fragte er.
    »Ich glühe«, sagte Trudi und hoffte, ihre Aufgelöstheit erklärt zu haben. »Hat er euch im Büro empfangen?«
    »Ja«, sagte Georg, »ein glatter Empfang. Von einem glatten Herrn, der mit gierigen Augen auf das Bild guckte.«
    »Gefällt dir Goldie?«
    »Du hättest nicht die ganze Zeit im Auto sitzen sollen. Dein Gesicht sieht schon aus wie eine zerquetschte Tube Ölfarbe.«
    »Ich habe kaum was drauf«, sagte Trudi. Die Erleichterung ließ sie die Kränkung schlucken. Er ahnte nichts vom Haus der Antes’.
    »Kennst du Goldie?«
    »Eins von Jos' Mädchen«, sagte Trudi.
    »Ich könnte schwören, daß du das bist«, sagte Georg. Er sah Jos aus dem Haus kommen und öffnete die vordere Tür.
    »Du bist verrückt«, sagte Trudi.
    Georg stieg ein und drehte sich zu ihr um. »Hier stinkt es nach Angstschweiß«, sagte er, »Und jetzt fahren wir dich nach Hause.«
    Trudi lag an der äußeren Kante des Bettes und hatte einen Zipfel des Lakens über den Kopf gezogen, als Georg ins Schlafzimmer kam. Er stellte sich vors Bett und schwenkte die halbe Hortensie, die er in einem Vorgarten abgebrochen hatte, und war bereit, sich anzubieten. Trudi schätzte die Beischlaferei. Schätzte sie genügend, um ihn damit Buße tun zu lassen. Seine Trunkenheit hatte den Grad erreicht, der ihn nach Harmonie lechzen ließ.
    Er fing an, die Hose aufzuknöpfen und überlegte, ob Trudi mit offenen Augen lag und ihn durch das Laken sehen konnte. Die Hose fallen sah. Die Unterhose. Die Hortensie, die jetzt in seinem Hemd hing und da keinen Halt hatte. Trudi schlief nicht. Keiner war in der Lage, in der luftlosen Höhle des Lakens zu schlafen.
    Georg stieg aus den Hosen und schaltete das Licht aus. Er hatte keine Kraft mehr, sich im Hellen zu produzieren. Trudi ruckte noch näher an die Kante. Er hörte es. Sie stieß schon mit dem Kopf gegen den Nachttisch. Georg wußte, was es bedeutete, wenn Trudi seine Seite des Bettes mied, als könnte sie sich da die Krätze holen.
    Er ließ die Hosen liegen. Unordentlich sein. Vielleicht befreite das. Er hob an, Trudi zu sagen, sie solle um Gottes willen unter dem Laken hervorkommen. Sie würde noch ersticken. Doch er brachte keinen Ton heraus. Die Kneipen hatten ihn heiser gemacht. Er war nie zuvor in so vielen Kneipen gewesen. Nicht mal sein Vater hatte diesen Schnitt an einem Abend geschafft.
    Georg fiel in das Bett und dachte, daß es schön wäre, wenn sie den Kopf auf seine Schulter legen würde. Schöner, als den Schwanz in sie hineinzustecken. Er war viel zu müde, um noch Buße zu tun. Er rückte näher an sie heran und wollte sie streicheln. Doch alles, was er zu fassen kriegte, war das Laken, das sich anfühlte wie ein straff gespanntes Zelt.
    Georg zog sich an seine Kante zurück und grub den Kopf in das halb aufgeknöpfte Hemd, das er auszuziehen vergessen hatte. Trudi rührte sich. Kroch hervor aus ihrer Höhle. Georg rückte ganz an den Rand und horchte, ob Trudi sich zur Mitte des Bettes bewegte. Doch sie blieb an ihrer Kante liegen, und ihm blieb als Ausweg nur noch das unverzügliche Einschlafen, um den hoffnungslosen Gedanken zu entgehen.
    Das Stück Schnur stammte von einem Paket, das die Lafleurs geschickt hatten. Trudis Vater packte vernünftige Pakete. Festes Papier. Eine straffe Schnur.
    Georg spannte die Schnur quer durch das Arbeitszimmer. Befestigte das eine Ende an einem Nagel, der von einem Kalender übriggeblieben war. Schlug für das andere Ende einen neuen Nagel ein.
    Das erste Foto, das Georg an die Schnur hängte, zeigte zehn Kinder, die um ein Erdloch standen. Kindergartenkinder. Halb nackt in der Hitze des Sommers. Die Jungen hielten Schaufeln. Die drei Mädchen trugen weiße Tücher um den Kopf. Mit kleinen Knoten an den Enden. Ein Schild steckte in der Erde oberhalb des

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