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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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Schwangerschaften hinter dir«, sagte Georg.
    »Ich habe so lange darauf gewartet, daß ich alles weiß.«
    »Zieh ihn wieder an, die von gegenüber können durch die ganze Wohnung gucken.« Georg deutete mit dem Kinn zum Fenster des Arbeitszimmers hin. Dabei konnte er genau sehen, daß die rosa Vorhänge zugezogen waren.
    »Sie tun es aber nicht«, sagte Trudi.
    Georg schaute vom Fenster zu dem Tisch und dann auf die Tasche der Lafleurs. Er dachte an den Traum, aus dem er sich hochgeholt hatte, und er sah die einzelnen Szenen noch ganz klar und stellte sich vor, wie er den von Trudi geborenen Jos aus dem Traum herausnahm und in die Tasche legte und den Reißverschluß zuzog.

Georg schob die Scheckkarte in den Schlitz des Automaten und gab die Geheimzahl ein. Trudis Geburtsmonat. Der Geburtsmonat von Jos. Der Todestag von seinem Vater, der auch der Tag der Promotion gewesen war. Georg schätzte Brücken.
    Dreihundert Mark. Er drückte die Taste 300, obwohl er mehr als das Doppelte brauchte, um die Schulden bei Jos zu bezahlen. Georg traute sich nicht, alles herauszuholen. Er hatte das Limit des Kredits längst überschritten.
    Der Automat spuckte die Scheine aus, und Georg bedauerte es, einen zu kleinen Einsatz gespielt zu haben, und zögerte dennoch, die Karte ein zweites Mal in den Schlund zu stecken. In die Bank hineingehen. Dem Kassierer ins Auge blicken. Das Geld von ihm verlangen. All das war besser, als Jos jetzt etwas schuldig zu sein.
    Georg schob den Auszahlungsschein unter der Glasscheibe durch und spannte die Muskeln an im Bemühen, gelassen auszusehen, und sah doch nur aus wie ein unbegabter Betrüger. Hinter dem Schalter zogen sich die Arbeiten zäh hin. Bis ein Telefon klingelte. Der Hörer abgenommen wurde. Der Schein zu Georg zurückkam.
    Er hätte lieber die Flucht ergriffen. Doch er ging in das Büro. Hörte allem zu. Konnte nicht sagen, wann wieder Geld zu erwarten war. Er gab die Scheckkarte her und schaute auf die Pappfamilie, die für einen Bausparvertrag warb, als die Schere durch den Kunststoff der Karte glitt.
    Georg schlich nach Hause. An denen vorbei, die Häuser bauten. Bäume pflanzten. Kinder zeugten. Er schloß die Tür auf und stieg die Treppen hoch. Im zweiten Stock blieb er auf dem Treppenabsatz stehen und stellte sich vor, daß der Mooreichentisch heruntergetragen würde. Trudis Schrank. Das Ledersofa, einziges teures Stück, das sie sich je geleistet hatten, wäre dann wahrscheinlich schon verkauft. Auffanglager. Georg wußte nicht, warum ihm ausgerechnet das Wort Auffanglager in den Kopf kam. In eine billigere Wohnung würden sie ziehen. In eine Siedlung. Zwei Zimmer im Hochhaus. Er schleppte sich durch die beiden letzten Stockwerke und dachte zum erstenmal daran, das Singende Kind aufzugeben.
    »Fünfzig«, sagte Felix Antes. Er stach die Feder des Füllhalters in das Rosenblatt und spießte es auf.
    »Fünfzig wofür?« fragte seine Mutter.
    »Flanieren. Einen Haps essen gehen.«
    »Kinder belästigen.«
    »Ich belästige keine Kinder«, sagte Felix Antes. Er zupfte ein zweites Blatt aus der Rose. Doch er ließ den Füller fallen, als er den Tintenfleck an seinem Finger entdeckte.
    »Eine Fünfzehnjährige ist ein Kind.«
    »Ein kleines Biest, das es genossen hat, ein Bambusstöckchen in den Bauch gebohrt zu bekommen.«
    »Du bist krank.«
    Felix Antes lachte. »Fünfzig«, sagte er, »Und ich lasse dir den Flügel für ein paar Stunden.«
    »Der Flügel gehört dir nicht. Dir gehört hier gar nichts.«
    »Ich mache es nicht länger so billig.« Antes griff den Füller und hielt ihn seiner Mutter hin. »Schreib einen Scheck aus. Zweihundert. Als Strafe für deine Zickigkeit.«
    Lydia Antes nahm den Füllhalter und legte ihn in die Schale zurück, die auf ihrem Schreibtisch stand. »Ich werde Freysing anrufen, daß er dich noch einmal in die Therapie aufnimmt.«
    »Ich setze keinen Fuß mehr zu Freysing.«
    »Fünfhundert, wenn du es doch tust«, sagte Lydia Antes. Sie stand auf und ging zu einer Vitrine. Öffnete die Türen und holte eine Lederkassette hervor. »Dreh dich um«, sagte sie.
    Felix Antes drehte sich um. Seine Mutter würde eine Kette aus ihrem Pullover ziehen. Er wußte längst, daß der Schlüssel an der Kette hing. Er hörte das Klicken des Verschlusses. Dann fiel ihr der Schlüssel hin.
    Am liebsten hätte er laut gelacht. Lydia Antes nestelte einen Schein aus dem Bündel, das von einem Seidenbändchen zusammengehalten wurde. Dann schloß sie die Kassette und

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