Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
Vom Netzwerk:
enttäuschend ausgegangen.
    »Du bist ganz blaß«, sagte Georg, »geh ins Bett.«
    »Ich bin nur blank gewaschen«, sagte Trudi. Sie lächelte und fühlte sich rein und gut und erfüllt. Es schien schon anzufangen, das Glück, von dem ihr Vater so viel geschrieben hatte. Trudi stand auf. »Ich gehe wirklich ins Bett.«
    »Ich komme bald nach«, sagte Georg, »hier schaffe ich doch nichts. Ich schreibe nur Schund, seit das passiert ist.«
    »Glaubst du, daß in einer Familie erst die einen sterben müssen, bevor die anderen geboren werden können?«
    »Blödsinn«, sagte Georg. Er zerrte ein Blatt aus der Schreibmaschine und zerriß es. »Laß uns ins Bett gehen.«
    »Du brauchst nicht mit mir zu schlafen.«
    Georg sah sie an und suchte in ihrem Gesicht die Spuren eines ausschweifenden Lebens. Er hatte keine genaue Vorstellung von den Spuren. Lila Schatten unter den Augen vielleicht. Trudi war den ganzen Tag weg gewesen, und Jos hatte sich mit einer Auftragsarbeit für eine Agentur entschuldigt. »Du hast Schatten unter den Augen.«
    »Ich habe lange nicht mehr gut geschlafen«, sagte Trudi.
    »Du verläßt ein paar Tage nicht das Haus und ruhst dich aus.« Georg hörte sich an wie ein zu strenger Vater.
    Trudi wußte, daß sie sich nicht daran halten würde, und nickte trotzdem. Georgs Ton hätte sie verärgert, wäre sie nicht von ihren Brustwarzen abgelenkt worden, die sich an dem rauhen Frotteestoff des Bademantels rieben. Sie schmerzten. Trudi glaubte sicher, daß sie schmerzten. Sie war noch nie so zuversichtlich gewesen.
    Der Zettel lag auf dem Teppich. Georg trat auf ihn, als er zur Tür hereinkam. Er ließ das Netz mit den Roten Beten fallen und bückte sich nach der Nachricht, obwohl Trudis Schrift groß genug war, sie aus seiner Höhe zu lesen. Trudi brauchte frische Luft. Brauchte sie anscheinend dringender als gekochte Rote Bete. Es gab nicht wirklich was dagegen zu sagen, wenn sie spazierenging.
    Georg schaute auf die Uhr, um Trudis Zeit zu nehmen. Eine Viertelstunde vielleicht. Länger konnte sie nicht unterwegs sein. Er war erst vor gut zwanzig Minuten zum Gemüseladen gegangen, und da hatte sie in ihrem Sessel gesessen und einen Schmöker gelesen.
    Er trug die Knollen in die Küche, legte sie in das Spülbecken und fing an, sie unter fließendem Wasser zu bürsten. Eine Stunde würden sie kochen, und danach war Trudi sicher wieder da.
    Georg stellte den Topf auf den Herd und nahm die Flasche mit dem Balsamessig aus dem Gewürzregal. Er mußte den Roten Beten die größtmögliche Chance geben, von Trudi gegessen zu werden. Trudi tat sich in letzter Zeit schwer mit gutem Essen.
    Georg holte das Hackbrett aus dem Schrank und griff nach dem kleinsten der scharfen Messer, die in dem Holzblock steckten. Er schälte die Zwiebeln und roch dabei Heringe. Seine Mutter hatte sie lebend gekauft. Kopf ab. Schwanz ab. Bauch aufgeschlitzt. Rote Bete hatte er nur im Heringssalat gekannt.
    Die kalten Kartoffeln von gestern reichten aus, eine große Pfanne voll zu rösten. Röstkartoffeln aß Trudi gern. Georg schaltete den Herd eine Stufe herunter und wusch sich die Hände. Er wollte noch einmal los, eine Flasche Rotwein kaufen. Trudi verwöhnen. Er hatte ihr auch noch die Hoden einzulöffeln.
    Trudi gab ihren letzten Fünfziger für ein Filetsteak, eine Folienkartoffel, einen gemischten Salat und Wein. Den Salat ließ sie stehen. Doch sie bestellte ein zweites Glas Bordeaux und hoffte, daß es dem Kind nicht schadete. Trudi sah eine der winzigen Zelluloidpuppen in ihrem Unterleib sitzen. Die aus den teureren Wundertüten. Sie dachte nicht an einen Zellklumpen.
    Der Saft des Fleisches hatte sich auf ihrem Teller mit den Resten der Sour Cream vereint, die auf der Kartoffel gewesen war, und beides zog eine blutige Spur, die beinahe auf Trudis Bluse niederkam, als die Kellnerin den Teller nahm und ihn viel zu schräg hielt. Trudi hatte auf einmal ein unangenehmes Gefühl im Magen, und sie schob das Glas beiseite, das noch nicht ausgetrunken war, und bezahlte und gab drei Mark Trinkgeld und besaß danach vier Mark und ein paar Groschen und Pfennige.
    Es regte sie nicht auf. Heute abend wollte sie Georg von der Schwangerschaft erzählen, und sie hatte schon die Verkündung vor Augen. Zeitlupe. Georg, der das Glas heben und sie umarmen würde und gar nicht mehr Georg wäre, sondern ein Glücklicherer, der Zeitlupenschritte um den Tisch tanzte.
    Trudi war schon auf dem Weg nach Hause, als sie wieder an den Teller dachte,

Weitere Kostenlose Bücher