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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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brachte den Schlüssel wieder an ihrem Busen unter.
    »Fünfhundert?« fragte Felix Antes.
    »Fünfzig. Den Rest nach deinem Gespräch mit Freysing.«
    »Mach den Termin«, sagte ihr Sohn. »Doch der Alte soll nicht glauben, daß er mich wieder unter Tabletten setzen kann.«
    Trudi legte die Kette auf das zerfranste Stück Samt, das ihr die Frau zuschob. Das Licht über dem Ladentisch leuchtete die kleinen Granatrosen aus und offenbarte, daß einer der Steine abhanden gekommen war. Er fehlte seit Jahrzehnten, schon als ihr Vater ihr die Kette geschenkt hatte. Sie war das Lieblingsstück von Gertrud Lafleur gewesen, der Großmutter des Vaters.
    »Sechzig«, sagte die Frau.
    Trudis Hand zuckte nach der Kette. Zweihundert allein für die Weil, um sie bis in den Oktober hinein ruhig zu halten.
    »Granat kauft heute keiner.«
    »Ich brauche zweihundert.« Trudi griff in ihre Tüte und holte einen lackierten Karton hervor. Geschwungene Goldlettern. Der originale Karton des Lütticher Goldschmieds.
    »Siebzig«, sagte die Frau, »höher kann ich nicht gehen.«
    Trudi schüttelte den Kopf. Sie hatte einen Kloß im Hals und fürchtete, ihre Stimme könnte zu große Bedürftigkeit verraten.
    »Bringen Sie sie zur Auktion. Fürs Leihhaus ist das nichts.«
    »Ich will sie ja wiederhaben«, sagte Trudi.
    »Können Sie denn sonst nicht an Geld kommen?« Die Frau klang ganz ärgerlich. Trudi tat ihr leid.
    Trudi packte die Kette ein. »Doch«, sagte sie. Es würde ihr nichts anderes bleiben, als mit Cilly Weil auf Raubzug zu gehen.

Lehrer an einer Grundschule. Georg wäre gern ein Lehrer für die Kleinen geworden. Die Schulanfänger. Doch Grete Fortgang hatte ihn in den Studienrat hineingeredet. Deutsch. Geschichte.
    Er hatte die Referendarzeit schon längst hinter sich, als die Angst anfing. Angst vor der Oberstufe. Jugendliche, die lachten, wenn Georg in das Klassenzimmer kam. Wer jetzt lacht in der Nacht, ohne Grund lacht in der Nacht, lacht mich aus.
    Ein jiddischer Dichter brachte ihm das Ende. Jossi Papiernikov. Georg hatte den Text eines Liedes vorlesen wollen. Soll sein, daß ich bau in der Luft meine Schlösser. Georg liebte den Text, hoffte, Papiernikov könnte sich zu den Seelen der Schüler durchschaufeIn. Soll sein, daß mein Gott ist im ganzen nicht da. Die Stimme klang zu dünn. Georg hörte auf nach der zweiten Zeile und räusperte sich. Sah hoch, um in die Gesichter zu sehen.
    Sie hatten sich alle um einen einzigen Tisch gesammelt. Lautlos. Beugten sich über etwas, und Georg stand auf, nachzusehen, was es war. Sie machten nicht mal einen Versuch, den Dreck zu verstecken. Als hätten sie ihn eigens für Georg ausgelegt. Pornographie für Pädophile. Ein nacktes Kind, an dem ein Kerl herumspielte.
    Er hätte anders damit umgehen müssen. Nicht die Hände vor das Gesicht schlagen und schluchzen. Soll sein, daß ich werd mein Ziel nicht erreichen. Soll sein, daß mein Schiff wird nicht liegen am Steg. Georg hatte seine Sachen gepackt und war nicht wiedergekommen.
    Georg stand vor der Klotür, als Trudi herauskam. Sie schwenkte ein Zellstofftuch. Georg sah auf das fleckenlose Tuch. Eine Woche.
    »Ich bin schwanger«, sagte Trudi. Tirilierte es eher. Sie trug nur eines ihrer Trägerhemdchen, und Georg sah zum erstenmal, daß sie dicker geworden war.
    Er ging in die Küche und stellte den Kessel auf die Herdplatte. »Warten wir den Tag noch ab«, sagte er. Dott hatte in drei Monaten kein Gramm zugenommen. Trudi reichten anscheinend zwei Wochen.
    Trudi kam in die Küche, öffnete den Kühlschrank und holte die Milch heraus. »Und dann?« fragte sie.
    »Jos«, sagte Georg.
    »Was hast du mit Jos?«
    »Er ist der Vater.« Georg versuchte, die Teeblätter in das Ei zu pressen. Doch er zitterte zu sehr.
    »Du bist verrückt.«
    »Oder hast du es noch mit einem anderen getrieben?«
    Trudi stellte das Glas hin, das sie gerade von der Spüle genommen hatte, und verließ die Küche.
    Georg holte den Kessel vom Herd, um ihn vom Pfeifen abzuhalten. Er horchte auf das Knarren der Schranktüren. Doch sie blieben still, und schließlich hörte er Trudi im Badezimmer hantieren.
    Sie stand vor dem Spiegel und war dabei, die Ärmel ihrer Bluse hochzukrempeln, als er zur Tür hereinkam. »Ich schwöre, daß nur du der Vater sein kannst«, sagte sie, ohne ihn anzugucken.
    Georg versenkte die Hände in die Taschen seines Bademantels. Aus Angst, eine Hand könnte vorschnellen und Trudi schlagen. »Wenn du schwanger bist«, sagte er und

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