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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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Schrank sitzen. Ein paar Hemdchen lagen um sie herum. Eine Strampelhose. Und tatsächlich eine Rassel. Trudi schaute zu ihm auf, und Georg fand, daß sie ängstlich aussah.
    »Ein Ring«, sagte Trudi, »es ist ganz sicher ein Ring.« Sie zeigte in den Schrank, und Georg ging in die Knie und entdeckte das Röhrchen und guckte in das Fitzchen Spiegel, das an den Fuß des Ständers geklebt war.
    »Ich habe ihn gesehen«, sagte Trudi.
    Ein Ring sollte es also sein, der sich zum Zeichen der Befruchtung auf den Grund des Röhrchens setzte. Georg starrte darauf und suchte den Ring. Hatte Angst, daß er nicht sah, was nicht sein durfte. Obwohl es vor aller Augen lag.
    Was wollte er wünschen? Trudi schien einem Zusammenbruch ziemlich nahe zu sein. Weil sie schwanger war und vor ihm zitterte? Weil sie nicht schwanger war?
    »Ich bin schwanger«, sagte Trudi und schluckte an den Tränen.
    Georg stand auf und sah, daß er eins der Hemdchen in der Hand hatte. Er schüttelte es ab, als habe es sich an ihm festgebissen. »Geh zum Arzt«, sagte er und kehrte in die Küche zurück.
    Wenn ich mir was wünschen dürfte, sang Trudi und sah auf die Hände der Weil, die heute schwer auf den Tasten lagen und aus dem Klavier nur die dumpfen Töne holten. Käm' ich in Verlegenheit.
    »Sie hören sich an wie eine Drehorgel«, sagte Cilly Weil, »Und ich spiele, als hätte ich eben einen Schlaganfall erlitten.«
    Was ich mir denn wünschen sollte. Trudi versuchte das Tempo anzuheben. Doch es gelang ihr nicht.
    Eine schlimme oder gute Zeit, sang die Weil. »Seien Sie doch nicht so lahm. Ich kann nicht mit Ihnen zusammenarbeiten, solange Sie nur an den Balg in Ihrem Bauch denken.«
    »Heute ist Blut abgenommen worden«, sagte Trudi, »das Baby wird im Blut nachgewiesen. Ich scheine immun zu sein gegen die anderen Tests.« Sie hatte es nicht erzählen wollen.
    »Dann wünsche ich, daß Sie sich alles eingebildet haben.«
    Trudi strich über ihre Brüste. Sie hingen schwer und taten weh und waren ihre Hoffnung.
    »Das heißt nichts«, sagte Cilly Weil. »Scheinträchtige Kühe haben auch eine Euterschwellung.«
    Trudi sah zu ihrem Mantel, der an einem der Haken hing, die neben dem Spiegel angebracht waren. »Ich kann Ihnen schon mal hundert Mark geben.«
    »Das ist höchste Zeit, daß Sie damit kommen. Deswegen kriegen Sie keine anderen Ansichten von mir.«
    »Es gibt genügend Sängerinnen, die Kinder haben.«
    »Sie sollten sich auf eines konzentrieren. Für beides reicht Ihre Begabung nicht.« Cilly Weil schlug einen Akkord an. »Singen Sie«, sagte sie, »aber sterben Sie nicht dabei. Sie haben viel zuviel Seele im Leib. Auch das kann Sängerinnen schaden.«
    »Warum giften Sie mich so an?« fragte Trudi. Fragte es lustlos. Weil sie wußte, daß von ihr erwartet wurde, sich zu wehren. Nicht, weil es sie wirklich interessiert hätte.
    »Weil Sie mich unglücklich machen«, sagte Cilly Weil. »Sie gehören zu den Menschen, die ihren Mörder suchen.«
    »Das ist verrückt«, sagte Trudi.
    »Denken Sie darüber nach, Kind.« Die Weil klang auf einmal müde. »Denken Sie darüber nach.«
    »Abbluten«, sagte der Arzt, »wir lassen Sie erst mal abbluten.« Er drückte Trudi das Rezept in die Hand und schob sie aus dem Zimmer. »In spätestens zehn Tagen kommen die Blutungen durch.«
    Trudi rannte die Treppen runter und dachte, daß jede Stufe ein Abgrund war, in den sie stürzte. Keine Schwangerschaft. Ihr Körper hatte nur vergessen zu bluten. Der Schock hatte es ihn vergessen lassen. Ihr war der Tod auf die Eierstöcke geschlagen.
    Ein schwangerer Bauch. Trudi hätte beinah den Bauch gerammt, als sie die Tür aufstieß, und sie hob nicht mal den Blick. Guckte nicht in das Gesicht der Frau, die den Bauch trug. Guckte nur ihn an. Schob ihren vor und lief mit hohlem Rücken über die Straße.
    Das Rezept. Weggerissen. Fallengelassen. Trudi ließ es liegen. Zertreten. Sie wollte nicht abbluten. Wollte vergessen, was der Arzt gesagt hatte. Vielleicht war es gelogen.
    Trudi sprang in den Zug hinein, als die Türen schon schlossen, und ihr fiel Felix Antes ein, der auch in einen Zug gesprungen war und dann auf der Flöte blies, und sie war ihm gefolgt.
    Sie hatte vergessen, den Bauch vorzustrecken, und tat es auch nicht mehr. Weil er zu schmerzen anfing. Schrecklich zu schmerzen anfing. Trudi krümmte sich auf ihrem Sitz in der Untergrundbahn, und während sie ohnmächtig wurde, glaubte sie, daß das die Geburt war. Die Geburt, die sich

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