Das Skript
an, der seinem Lektor erst einen bitterbösen Blick zuwarf und dann zu seinem Schreibtisch ging. Er lehnte sich dagegen, hob beide Hände und ließ sie auf seine Oberschenkel fallen. »Ja, es stimmt, ich war gestern Abend noch bei ihm. Es tut mir leid, dass ich es Ihnen eben nicht gesagt habe, aber ich kann es erklären. Es gibt eine Schweigeklausel, in meinem Arbeitsvertrag ebenso wie in dem unseres Lektors hier, und die besagt, dass wir keinerlei Interna nach außen tragen dürfen. Und das, was Werner Ihnen gestern Abend erzählt hat, sind in jedem Fall Interna.«
»Herr Lüdtke, ich möchte Ihnen eine Eigenart unseres Rechtssystems erklären«, sagte Matthiessen, und Erdmann hatte das Gefühl, dass sie sich sehr zusammenreißen musste, um ihren Ärger nicht zu zeigen. Er hatte sie so noch nicht gesehen. »Im Gegensatz zu einem Verdächtigen, der Dinge verschweigen darf, wenn er sich selbst damit belasten würde, dürfen Sie als Zeuge – und der sind Sie automatisch, wenn wir Sie befragen –, weder etwas verschweigen noch die Unwahrheit sagen«, fuhr Matthiessen nun bemüht ruhig fort. »Ihre internen Regelungen zur Vertuschung irgendwelcher Machenschaften interessieren das deutsche Rechtssystem und auch mich dabei kein bisschen. Es geht hier um grausame Verbrechen und um das Leben mehrerer Frauen. Uns rennt die Zeit davon, Herr Lüdtke, und wenn wir einen Teil der wenigen Zeit, die uns wahrscheinlich nur noch bleibt, damit verbringen müssen, Dingen nachzugehen, die man uns bewusst verschwiegen oder über die man uns belogen hat, dann kann es sein, dass wir am Ende zu spät kommen. Fassen Sie es bitte als ernstgemeinten Rat auf: Verschweigen Sie uns nichts mehr und lügen Sie uns nicht noch einmal an, wenn wir Ihnen Fragen stellen. Sollte sich herausstellen, dass Sie es doch tun, werde ich persönlich dafür sorgen, dass Sie die rechtlichen Konsequenzen dafür tragen müssen, und die sind nicht ohne. Haben Sie das verstanden?«
Der Programmchef lehnte bewegungslos an seinem Schreibtisch und starrte Matthiessen an. Offensichtlich war er mehr als überrascht, von ihr eine derart deutliche Ansage zu bekommen.
»Haben Sie das verstanden, Herr Lüdtke?«, wiederholte Matthiessen ihre Frage scharf und riss ihn damit aus seiner Starre.
»Ja. Wie ich schon sagte, es tut mir leid. Ich habe nicht über die Tragweite nachgedacht.«
»Gut. Also: Kann ich davon ausgehen, dass das, was Herr Lorth uns gestern Abend erzählt hat, der Wahrheit entspricht?«
»Ja, schon. Die Manuskripte, die uns Christoph Jahn abgegeben hat, waren in keinem Zustand, in dem man sie hätte veröffentlichen können. Ich weiß nicht, warum mein Vorgänger einen Vertrag mit ihm geschlossen hat, aber das ist auch unerheblich. Herr Jahn hat ein horrendes Garantiehonorar erhalten, und wir mussten irgendwie sehen, dass wir seine Geschichten zumindest so weit aufpäppeln, dass sie halbwegs verkäuflich wurden. Das wäre auch in jedem anderen Verlag so gehandhabt worden. Außerdem ist es nichts Verbotenes.«
»Verboten vielleicht nicht«, schaltete sich Erdmann ein. »Aber es sind doch zumindest recht dubiose Methoden, einen Autor derart unter Druck zu setzen, dass er gegen seinen Willen irgendwelche Dinge unterschreibt. Zumal, wenn es darum geht, in sein geistiges Eigentum so drastisch einzugreifen, dass er es anschließend selbst kaum wiedererkennt. Oder finden Sie das in Ordnung?«
»Es war nicht nur in Ordnung, sondern absolut unumgänglich«, antwortete Lorth für seinen Chef. Offensichtlich stand der durch sein Einlenken wieder in seiner Gunst. »Ich habe durch meine Arbeit als Lektor aus lieblos heruntergeschriebenen Texten erst Romane gemacht. Romane, die es sogar auf die Bestsellerliste geschafft haben. Und sicher auch wieder schaffen werden.« Selbstzufrieden lehnte er sich zurück und grinste in die Runde.
»Ja, das mag sein.« Erdmann nickte übertrieben. »Aber nicht, weil diese Bücher so gut sind, sondern weil eine sensationslüsterne Menschenmenge durch grausame Verbrechen aufgepeitscht wurde, die aus diesen Büchern stammen.«
»Wie ich in unserem ersten Gespräch schon sagte«, meldete sich Lüdtke wieder zu Wort, »ist das eine ganz furchtbare Sache, aber letztendlich zählt für uns das Verkaufsergebnis, nicht unbedingt der Grund, der dazu geführt hat.«
»Man merkt, Sie sind ein eingespieltes Team.« Matthiessen war offensichtlich noch immer wütend. »Zumindest wenn es darum geht, Erklärungen zu finden.« Sie wandte sich
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