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Das Skript

Das Skript

Titel: Das Skript Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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erhobenen Arm in einer bogenförmigen Bewegung langsam auf die Taste sinken und beendete mit einem tiefen Seufzer sein Werk.
    Langsam, ganz langsam, lehnte er sich zurück, die Pupillen dabei starr auf das Blatt gerichtet, das etwa zur Hälfte beschrieben darauf hoffte, aus der Umklammerung der Maschine befreit zu werden.
    Es war vollbracht. Zehn Monate, eine Woche und drei Tage. 342 ½ Seiten. Sein Werk.
    Er wagte es nicht, sich zu bewegen, aus Angst, dem feierlichen Augenblick damit etwas von seiner Größe zu nehmen. Von der Würde seines soeben geborenen, neuen Kunstwerkes.
    »Ich bin ja kein Experte, aber mir ist das eindeutig zu kitschig.« Erdmann sah vom Display des Telefons auf. »Jahn hat schon eine seltsame Art zu schreiben. Oder stammt dieser Teil von Lorth?«
    »Genaugenommen weder noch.« Matthiessen hatte sich ebenfalls aufgerichtet. »Das schreibt der wahnsinnige Täter in Jahns Roman.«
    »Ja, klar, in der Geschichte. Aber verfasst hat es entweder Jahn oder Lorth.«
    »Aber als dieser andere. Wer immer es geschrieben hat, er wird sich bemüht haben, einen anderen Stil als seinen eigenen zu wählen, weil das hier ein Roman im Roman ist, und Jahn oder Lorth stellvertretend für jemand anderen schreibt.«
    Erdmann sah sie eine Weile an, dann schüttelte er den Kopf. »Vergiss es.«
    »Man darf gar nicht daran denken, worauf diese Zeilen geschrieben sind und was mit den armen Frauen passiert ist.«
    »Was mit Nina Hartmann vielleicht passiert ist«, ergänzte Erdmann. »Wir sollten direkt wieder nachhören, ob es schon was Neues gibt. Und was mit Schäfer und dem zukünftigen Herrn Rechtsanwalt ist.«
    Matthiessen verdrehte die Augen. »Zitat Stohrmann:
Wenn es was Neues geben würde, hätte ich Sie doch wohl schon informiert.
Zitat Ende.«
    »Ja, okay, ich kann dich ja verstehen. Dann rufe ich ihn eben an, mal sehen, was er mir erzählt.«
    Stohrmann erzählte einiges. Dass Nina Hartmanns Eltern aus Trier angekommen waren und sich nun in der Wohnung ihrer Tochter aufhielten und dass er ein Team dort hingeschickt hatte, das im Beisein der Eltern die Wohnung nach Hinweisen durchsuchte. Das Interessanteste aber erzählte er zuletzt: Jahns Haushälterin Helga Jäger hatte angerufen, sie hatte sehr aufgeregt geklungen und um einen Termin im Präsidium gebeten.
    Sie war schon unterwegs dorthin.

XI
    Zuvor
    War sie tot? Vielleicht. Wahrscheinlich.
    Ja, wahrscheinlich war das das Totsein. Eine Welt, in der das Zentrum, um das die Existenz sich drehte, ein immerwährender Schmerz war. Präsent, aber nicht so, dass man immerzu schreien musste. Vielleicht, weil der Schmerz nachgelassen hatte. Vielleicht, weil man abstumpfte, den Schmerz nicht immer gleich intensiv empfinden konnte. Sie erfuhr eine seltsame Art von körperlosem Dasein, sie spürte ihre Extremitäten nicht mehr, konnte sich nicht mehr bewegen. Aber der Schmerz pochte doch allgegenwärtig in ihrem Bewusstsein. Aber wo kamen Schmerzen her, wenn man den eigenen Körper nicht mehr spürte? Bewusstseinsschmerz? Gab es das?
    So war es, seit das … das … sie hatte vergessen, wie die Gestalt hieß, nein, nicht wie sie hieß. Sie hatte vergessen, wie sie sie
genannt
hatte. Seit das …
Ding
ihr etwas in den Rücken gesteckt und an ihrem Körper herumgezogen hatte. Erst war es eine Sinne raubende Schmerzexplosion gewesen, dann war das Wummernde, das Pochende übergegangen in ein gleichmäßiges, dumpfes Brummen. Schmerzbrummen. Sie wusste nicht mehr, ob es mit einem Schlag passiert oder ein schleichender Vorgang gewesen war.
    Irgendwo neben ihr tat sich etwas. Geräuschvoll, laut. Sie hörte Geräusche. Nein, sie war nicht körperlos. Also auch nicht tot. Der Raum drehte sich in kurzen, ruckartigen Stößen seitlich weg, das musste ihr Kopf sein, der sich bewegte. Sie lebte, das war jetzt klar. Sie registrierte es und vergaß es gleich wieder. Von einer Seite – welche war es? – tauchten dunkle Umrisse in ihrem Blickfeld auf und wurden schärfer. Es waren zwei Gestalten. Sie standen … auf der Wand? Und ihre Körper ragten waagerecht in den Raum. Das war … nein, es schien so, weil sie lag. Ja, sie lag, und die zwei Gestalten standen neben ihr. Zwei Gestalten? Ihr Herz begann zu rasen, und es wurde nicht von Sekunde zu Sekunde schneller, nein, mit einem Schlag jagte es das Blut wie einen reißenden Strom durch ihren Körper und machte ihr überdeutlich klar, dass ihr Dasein alles andere als körperlos war.
    Zwei Gestalten, und eine davon war

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