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Das Sonnenblumenfeld

Das Sonnenblumenfeld

Titel: Das Sonnenblumenfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Longo
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Flammen spien und wie Höllenteufel aussahen. Dahinter schritt der Dorfpriester, der sein Weihrauchfass schwenkte, um die Christen vor dem Bösen zu bewahren, das sie zu verschlingen drohte. Dem Priester folgten die Messdiener, die Statue des Heiligen auf den Schultern, und hinterdrein hüpften die üblichen alten Weiblein, schwarz gekleidet, die Kerzen trugen und ihre Litanei murmelten. Danach zweihundert oder dreihundert Menschen.
    Die Prozession war zweimal durchs Dorf gezogen, war die Straßen auf und ab geschritten. Die Hitze war unerbittlich. Zwei alte Weiblein waren ohnmächtig geworden, der Krankenwagen hatte sie geholt. Ein Messdiener hatte irgendwann ein wenig geschwankt, und beinahe wäre die Statue auf den Steinen zerschellt.
    Nun kam die letzte Runde, gerade hatten sie den Corso erreicht. Dort waren Stände aufgebaut, die Nüsse und Oliven, Zuckerwatte und Torrone verkauften und Spielzeug für die Kinder.
    Vom Corso zog die Prozession weiter über die Piazza, wo eine Bühne für die Musikanten aufgebaut war. Auf der Piazza warteten die Menschen schon darauf,
dass das Konzert begann, einige hatten sich auf den Boden gesetzt, andere waren auf die umstehenden Bäume geklettert. Als die Statue vorbeizog, klatschten sie lauter als im Stadion. Dann zog der Heilige endlich in die Kirche ein, der Priester sprach seinen Segen, und die Prozession war vorüber.
    In dem Moment traf der Moderator auf der Bühne ein, der durch den Abend führen sollte.
    »Wo ist Caterina?«, fragte Giovanni.
    »Kommt gleich«, antwortete Rita.
    »Ich seh sie nicht.«
    »Sie ist bei Pina, sie kommt gleich.«
    Der Moderator griff nach dem Mikrophon, begrüßte das Publikum und wiederholte den Gruß auf Englisch für die Touristen. Dann machte er zwei Witze über die Hitze, die alle zum Lachen brachten, und bat den Bürgermeister auf die Bühne.
    »Das passt mir nicht«, sagte Giovanni.
    »Was?«
    »Caterina.«
    »Warum, was ist mir ihr?«
    »Nicht, dass sie mit jedem schläft, der daherkommt!«
    »Schläft? Jetzt?«
    »Mè, kann doch sein, oder?«
    Caetano Corona stieg auf die Bühne und begrüßte das Publikum. Der Moderator bedankte sich bei dem Bürgermeister, der dem Dorf auch dieses Jahr wieder ein Fest ermöglicht hatte. Und der Bürger
meister bedankte sich bei Mino Calasetta, der den Abend zu einem Teil bezahlt hatte. Deshalb bat der Moderator auch den Unternehmer auf die Bühne, aber der erhob sich nur von seinem Stuhl in der erste Reihe, hob die Hand zum Gruß und setzte sich unter dem Applaus des Publikums wieder.
    »Der muss auch überall mitmischen«, sagte Rita.
    »Wer?«, fragte Giovanni.
    Sie schaute ihn an.
    Es war ein Blick, der viel sagen wollte, und vielleicht war sie wirklich kurz davor, etwas zu sagen, aber Lucietta flüsterte, dass sie Hunger habe, und Rita holte ein in Alufolie gewickeltes Omelett aus der Tasche.
    Caetano Corona stieg von der Bühne, und der Moderator sagte, es sei an der Zeit, sich ein wenig mit dem Glauben zu beschäftigen. Deshalb trat der Dorfpriester auf die Bühne, der noch schweißgebadet von dem Gang in der Prozession war. Mit einem Stofftaschentuch trocknete er sich die Stirn und begann, die Geschichte von Santu Vito Liberatore zu erzählen.
    »Sie ist doch noch ein Kind.«
    »Wer?«
    »Caterina.«
    »Das Kind ist groß geworden, Giuvà.«
    »Nicht, dass sie Dummheiten macht.«
    »Und was wäre eine Dummheit?«, fragte sie mühsam beherrscht.
    »Was weiß ich.«
    »Dass sie sich für den Enkel des Schusters statt für den Sohn von Mino Calasetta entscheidet? Ist es das, was dir nicht passt?«
    Sie hatte es so trocken und wütend gesagt, als wollte sie ihrem Mann an die Kehle gehen.
    Giovanni blieb stumm.
    Was wusste Rita von Mino Calasettas Sohn?
    Ihm fiel wieder der Anruf des Bauunternehmers vor drei Tagen ein.
    »Guten Tag, Dottore, wie komme ich zu der Ehre?«
    Er dachte, dass es Ärger auf der Arbeit gab, aber damit hatte es nichts zu tun.
    »Deine Tochter hat was mit dem Enkel vom Schuster«, hatte Calasetta gesagt.
    Giovanni verstand nicht, wieso Calasetta sich für seine Tochter interessierte.
    »Davon weiß ich nichts, Dottò, ich glaube nicht«, antwortete er.
    »Sag bloß, du weißt nicht, dass sie sich jeden Sonntag in Roccelle am Meer treffen?«
    Nein, das hatte er nicht gewusst. Es tat ihm ein wenig leid, dass Caterina ihm nichts von sich erzählte. Und gut fand er es nicht, dass sie eine Schwäche für einen bettelarmen Taugenichts wie den Enkel des Schusters hatte. Aber er

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