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Das Sonnenblumenfeld

Das Sonnenblumenfeld

Titel: Das Sonnenblumenfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Longo
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verstand immer noch nicht, was Calasetta seine Tochter anging.
    »Es ist besser, wenn sie sich nicht mehr sehen«, sagte der Unternehmer.
    Schließlich fasste er sich ein Herz und fragte nach.
    »Aber Dottò, wieso interessiert Sie das?«
    »Mich nicht, aber meinen Sohn. Und zwar sehr.«
    Darum ging es, Fellone hatte ein Auge auf Caterina geworfen, und sie beachtete ihn nicht.
    »Ich kann sie doch nicht zu Hause einsperren«, sagte Giovanni, dem es nicht passte, so herumkommandiert zu werden.
    »Bist du ihr Vater oder nicht?«
    Er merkte, dass der andere nervös wurde.
    »Dottò, ich tue mein Bestes, aber …«
    Calasetta unterbrach ihn.
    »Hör zu, Avagliani, vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Deine Tochter trifft den Enkel vom Schuster nicht mehr, kapiert?«
    Er schrie beinahe.
    »Verstanden, regen Sie sich nicht auf, ich kümmere mich darum.«
    »Und zwar schnell, wenn dir deine Arbeit lieb ist«, sagte Calasetta, bevor er auflegte. »Diesmal rettet dir keiner den Arsch.«
     
    Während er über den Anruf nachdachte, fing jemand aus dem Publikum an, den Priester zu foppen, der gar nicht mehr aufhörte mit seinem Heiligen.
    »Mè, Reverè, nun lassen Sie uns die Musik hören, die Geschichte vom Heiligen kennen wir auswendig.«
    Das Publikum fing an zu lachen, und der Priester, der
nicht dumm war, antwortete mit einem Witz. Das Publikum lachte wieder, dann beendete der Priester schnell seine Rede und räumte die Bühne.
    Jetzt endlich sagte der Moderator, dass es Zeit für die Musik sei, und bat die Musikanten herauf. Rita klatschte, während die Musikanten auf die Bühne gingen, und die Kleinen klatschten mit ihr.
    Giovanni dachte immer noch darüber nach, was Rita über Calasettas Sohn wissen konnte, und schaute sie einen Moment lang an.
    Erst zerstreut.
    Dann konzentrierter.
    Auf einmal sah er das stolze Profil mit den schwarzen Haaren, die es umrahmten, die weiche Figur, die zugleich schlank war und der die Jahre nichts anhaben konnten. Während die Musiker ihre Instrumente stimmten, erschien sie ihm schöner als je zuvor, und er dachte, dass es vielleicht nicht zu spät sei, von vorn zu beginnen.

Rita und Giovanni
    Neun Monate zuvor, am Nachmittag
    Die Glocken hatten gerade fünf geschlagen. Auf der Straße waren wenige Leute, es wehte ein kalter Wind, der ins Gesicht schnitt, man konnte nicht einmal lachen, ohne dass einem die Zähne einfroren. In der vergangenen Nacht hatte es auf dem Muntagnone geschneit, und am Morgen konnte man das Weiß des Schnees sehen, der ihn fast ganz bedeckte. Der Bus fuhr nicht, und im Fernsehen sagten sie, dass es am nächsten Tag weiterschneien würde, in der ganzen Ebene und bis hinunter zum Meer.
    In der Bar redeten die Männer an den Tischen nicht vom Schnee und der Kälte. Auch nicht vom Fußball, der samstagnachmittags das beliebteste Thema war. Stattdessen redeten sie von den Entlassungen, die allen Dörfern der Gegend drohten und im Norden schon begonnen hatten. Im Fernsehen hatten sie gesagt, dass die Krise, die Chinesen und die Banken schuld waren.
    »Aber hinterher sind immer wir die Verlierer«, sagte Giovanni, der an der Bar stand und ein Bier trank.
    »Wir müssen zusammenhalten«, sagte der Gewerkschafter des Dorfes, der die Arbeiter zu einer öffentlichen Sitzung zusammengerufen hatte. »Nur
wenn wir zusammenhalten, können wir was ausrichten.«
    »Und was sollen wir ausrichten?«, fragte Giovanni skeptisch. »Eine Prozession für Santu Vito?«
    »Wenn wir zusammenhalten«, sagte ein anderer aus einem der Nachbardörfer, den sie Professor nannten, »dann können sie uns nichts anhaben. Aber wir müssen alle auf die Straße und streiken.«
    Giovanni zuckte mit den Schultern. Seit er ein kleiner Junge war, hatte er nichts geschenkt bekommen. An das Märchen von Einigkeit und Kameradschaft glaubte er nicht. Vor allem, weil Mino Calasetta ihm just an diesem Morgen zu verstehen gegeben hatte, dass er auch ihn würde entlassen müssen, dass die Krise alle betraf.
    »Dottò, ruinieren Sie mich nicht«, hatte Giovanni gesagt. »Wir haben nur mein Gehalt, und ich muss Rita und drei Kinder ernähren.«
    »Weiß ich«, sagte Calasetta. In einem Ton, der ihn zwischen Hoffnung und Verderben hängen ließ.
    Giovanni trank noch einen Schluck Bier.
    Inzwischen hatte einer der ältesten Arbeiter gesagt: »Aber hier ist noch keiner entlassen worden. Was geht uns der Streik an?«
    »Das ist nur eine Frage der Zeit«, sagte der Professor immer hitziger, »wir

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