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Das Sonnenblumenfeld

Das Sonnenblumenfeld

Titel: Das Sonnenblumenfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Longo
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müssen bald zeigen, dass die hier niemanden anrühren dürfen. Wenn sie hier einen anrühren, geht die Revolution los.«
    Einer klatschte zu den leidenschaftlichen Worten des Professors. Giovanni hingegen trank sein Bier und dachte, dass im Meer immer welche untergehen und andere oben schwimmen.
    Er wollte oben schwimmen.
    Während Giovanni sein Bier trank, hatte Rita Tummasino zum Schwimmen gebracht, dann ging sie in den Kindergarten, um Lucietta abzuholen. Die Sonne war schon untergegangen, der Nordostwind fegte wütend durch die Höfe und nahm einem den Atem. Während sie vom Schwimmbad zum Auto ging, schlug Rita den Schal enger um den Hals, um das Gesicht vor den Windstößen zu schützen. Sie lief schnell und dachte nach, über ihren Mann, der vielleicht arbeitslos wurde, über Tummasino, dem der Hals wehtat, über die Mutter, die sich den grauen Star operieren lassen musste.
    »Guten Abend, Signora Avagliani.«
    Sie hatte den Mann nicht bemerkt, der an der Seite stand und darauf wartete, dass sie antwortete. Dem Mantel nach zu urteilen und seinen Manieren, schien er anständig, aber es war zu dunkel, um sein Gesicht zu erkennen, und sie wusste nicht, wer er war.
    »Guten Abend …«, antwortete sie.
    Sie wollte nicht zu offen klingen, aber auch herausfinden, wen sie vor sich hatte.
    »Entschuldigen Sie, vielleicht habe ich Sie erschreckt.«
    »Ich war in Gedanken.«
    »Vielleicht ein wenig in Sorge, dass Ihr Mann seine Arbeit verlieren könnte …«
    Rita Avagliani nahm ihren Mut zusammen und schaute den Mann genauer an. Er ging einen kleinen Schritt zur Seite, so dass sein Gesicht im Licht der Straßenlaterne sichtbar wurde.
    Es war Mino Calasetta, der Bauunternehmer. Der, der ihrem Mann Arbeit gab und Hunderten anderen.
    »Ich habe Sie im Dunkeln nicht erkannt«, sagte Rita.
    »Ich möchte mit Ihnen sprechen, Signora«, sagte Calasetta höflich.
    »Mit mir?«
    »Mit Ihnen, ja.«
    »Worüber denn?«
    »Hier in der Nähe ist ein Café«, sagte Calasetta. »Im Warmen lässt es sich besser reden.«
    Was konnte Mino Calasetta von ihr wollen, der reichste und mächtigste Mann der Provinz?
    Sie schöpfte Verdacht, bekam Angst und wurde neugierig, alles gleichzeitig.
    »Na gut«, sagte sie, »gehen wir ins Café.«

Rita und Giovanni
    Neun Monate zuvor, am Abend
    Giovanni saß am Küchenfenster. Durch die Scheibe sah er die Blitze, die vom Muntagnone herunter immer näher kamen. Es kündigte sich so viel Schnee an, dass die Hilfsarbeiter die nächsten drei Tage lang nicht aus den umliegenden Dörfern kamen. Deshalb konnte auf den Baustellen nicht gearbeitet werden, und Calasetta hatte sicher keine gute Laune.
    »Mè, Giuvà, kannst du dir vorstellen, was diesem Schwein durch den Kopf geht?«, fragte Rita.
    Gerade hatte sie ihm von dem Treffen mit Mino Calasetta erzählt.
    Sie hatte extra den Abend abgewartet, weil sie mit ihm allein sein wollte, um alles loszuwerden. Deshalb hatte sie ihm davon erzählt, als die Kleinen im Bett waren und Caterina mit Pina im Kino.
    Giovanni kaute am Nagel des linken kleinen Fingers und schwieg.
    »Und dann, Giuvà, ich schwör's, wenn er dir nicht Arbeit geben würde, hätte ich nicht mal einen Kaffee mit ihm getrunken.«
    »Was hat er denn genau gesagt, als du ihm ins Gesicht gespuckt hast?«
    »Signora Avagliani, Ihre Reaktion habe ich erwar
tet, und sie stört mich nicht, weil Sie Ihnen zur Ehre gereicht. Und wenn ich Sie nicht für eine ernsthafte Person gehalten hätte, hätte ich Sie gar nicht angesprochen. Deshalb ist mein Angebot gültig, Sie haben eine Woche Zeit, darüber nachzudenken.«
    »Und dann?«, fragte Giovanni, »wie habt ihr euch verabschiedet?«
    »Giuvà, das erzähle ich dir jetzt schon zum dritten Mal. Ich hab ihm gesagt, dass ich nicht darüber nachzudenken brauche. Dann bin ich aufgestanden, hab ›Entschuldigung‹ gesagt und bin raus.«
    »Hat euch jemand gesehen? Was gehört?«
    »Nein. In der Bar war nur ein Junge mit seiner Freundin, die waren mit sich beschäftigt.«
    »Und der Kellner?«
    »Der auch nicht, von da aus, wo wir gesessen haben, konnte man die Theke nicht sehen.«
    Giovanni schaute wieder zu den Blitzen, die näher kamen.
    »Giuvà …«
    »Hier bin ich.«
    »Was sagst du dazu?«
    »Was soll ich dazu sagen?«
    »War es falsch, mit ihm Kaffee trinken zu gehen?«
    »Der Kaffee …«
    »Verzeih, Giuvà, versteh mich doch. Ich dachte, dein Chef, da kann ich doch nicht nein sagen.«
    »Hast du richtig gemacht.«
    »Mè, Giuvà,

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