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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Luepkes
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leicht verrostetes Vehikel stand, auf dessen Schutzblech mit Edding verewigt der Name «Mandy» zu lesen war. Von einem Fahrrad, das zu Aurel Pasat gepasst hätte, fehlte jede Spur. Hatte Sebastian Helliger nicht sogar von einem Mountainbike gesprochen? Und mit diesem steifen schwarzen Herrenrad mochte Aurel wohl kaum im Moorgelände unterwegs gewesen sein, die Sattelhöhe sprach auch eher dafür, dass dies der Drahtesel des groß gewachsenen Hofbesitzers war. Alles sah danach aus, als sei Aurel Pasat in der Nacht nicht mehr zum Hof zurückgekehrt. Und dann müsste man nach dem verschwundenen Rad suchen. Leider würde Axel Sanders natürlich keine Veranlassung dazu sehen, die Spurensicherung noch einmal hier antanzen zu lassen. Es sei denn, es gelang ihr, im Gespräch mit Annegret Helliger den entscheidenden Durchbruch zu erzielen.
    Im Innern des Gebäudes war ein lautes, metallenes Geräusch zu hören, ein hohes, schneidendes Dröhnen, welches Wencke noch aus ihrer Kindheit vertraut war, als der Freund ihrer Mutter es einmal mit Metallkunst probiert hatte. Es hörte sich an wie zehn Zahnarztbohrer. Wencke ging hinein. Die Sonne fiel durch staubige Fenster in das Atelier und beleuchtete das farbige Durcheinander. In der hinteren Ecke stand eine vornübergebeugte Person, die langen Locken mit einer Holzspange zusammengehalten, die Figur in wallenden, ökologisch sicher einwandfreien Gewändern und einer graublauen Schürze versteckt. Annegret Helliger schien vertieft in ihre Arbeit, sie schaute ab und zu auf eine an den Holzpfeiler gepinnte Skizze und operierte anschließend mit einem elektrischen Metallschneider verschiedene Formen aus einem gewaltigen Stück Blech.
    Auf den ersten Blick sah sie aus wie Wenckes Mutter. Natürlich war diese inzwischen weit über sechzig und hatte raspelkurze weiße Haare, während Annegret Helliger zwanzig Jahre jünger und um einiges muskulöser war. Doch diese angespannte Arbeit nach einem undurchsichtigen Prinzip, diese chaotische Konzentration im künstlerischen Schaffen erinnerte Wencke stark an die Kindheit in Worpswede. Und es gab Dinge, an die Wencke sich lieber erinnerte. Sie ging auf die Frau zu. Als diese eine Strähne aus dem Gesicht strich, bemerkte sie endlich ihre Besucherin und richtete sich auf.
    Annegret Helliger war eine auffallend große und kräftige Frau. Neben ihrem dünnen Mann musste sie ziemlich resolut wirken. Wahrscheinlich brachte sie sogar um die zehn Kilo mehr auf die Waage. Dennoch war sie auf eine Weise attraktiv, die man am ehesten mit «apart» umschreiben mochte. Sie hatte sorgsam gezupfte Augenbrauen und rot bemalte Lippen, ansonsten war sie ungeschminkt, ließ ihren Sommersprossen und den hellgrünen Augen die natürliche Wirkung. Sie schien sich für einen Moment ordnen zu müssen, als sei sie von einer langen Reise hier in den Schuppen des Heiliger-Hofes zurückgekehrt.
    «Ja, bitte, was kann ich für Sie tun?», fragte sie mit einer angenehm tiefen Stimme. Dann, plötzlich, wurde ihr Mund verkniffen. «Sind Sie von der Presse? Ich gebe keine Auskünfte zu dieser Sache …» Sie hielt den laufenden Metallschneider in der Hand und sah fast bedrohlich aus. Ihre hellen Augen funkelten wütend. «Gibt es denn hier niemanden, der mich mal fünf Minuten in Ruhe lassen kann? Ich bin es leid! Schon auf meinem Spaziergang haben mich die Leute genervt. Und als ich hier angekommen bin, standen drei Reporter hier: Ostfriesische Nachrichten, Ostfriesischer Kurier, Ostfriesenzeitung … Was soll denn jetzt noch kommen? Ich sage nichts zum Tod von Aurel Pasat! Und jetzt raus!» Den letzten Satz brüllte sie geradezu.
    Alle Achtung, dachte Wencke. Vielleicht hatte sie sich bislang ein falsches Bild von Aurel Pasats Gastmutter gemacht. Von wegen sensible Künstlerseele.
    Wencke versuchte es mit einer beschwichtigenden Geste. «Sie täuschen sich. Ich bin von der Kripo.»
    Annegret Helliger zuckte kurz und strich sich die wilde Strähne aus dem Gesicht. «Kripo? Stimmt, mein Mann hat mir von Ihnen erzählt, eine nette, junge Kommissarin …», sie war nun merklich leiser, in ihrer Stimme schwebte ein Hauch von Milde. «Entschuldigen Sie meine Tiraden …»
    «Schon gut. Ich kenne die Sache mit der Presse.» Wencke versuchte ein schiefes Grinsen. «Vielleicht können Sie mir helfen? Ich suche nach Aurel Pasats Mountainbike. Ihr Mann sagte, als er den Jungen das letzte Mal gesehen hat, wollte er gerade mit dem Fahrrad verschwinden.»
    «Er war viel damit

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