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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Luepkes
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hatte sich bei mir als Verwalter beworben, als er von den Spenden-Konvois gelesen hatte. Ein wirklich durchtriebener Hund. Ließ sich von mir für einen Spottlohn zur Beaufsichtigung unserer Lager anheuern, übernahm die Organisation der Hilfstransporte, tat fleißig und bescheiden. Und in Wirklichkeit stand er mit einem organisierten Bettlerring in Verbindung und kassierte dort mehr als das Zehnfache. Ich hasse Menschen wie ihn.»
    «Sie hätten die Polizei rufen können. Unsere Kollegen hätten diesen Kerl und seine Komplizen sicher gern in die Mangel genommen», sagte Sanders. «War es Holländer?»
    «Holländer? Nein, der hatte damit nichts zu tun. Er war nur für den Heiliger-Hof verantwortlich.»
    «Aber wir haben Ihren Hausmeister eben am Steuer des Lkws erkannt. Er hätte meine Kollegin um ein Haar totgefahren.»
    «Er ist in Panik gewesen. Ich kann ihn verstehen. Schließlich wusste er ganz genau, worauf er sich einließ, als ich ihn bat, den Posten meines fristlos gefeuerten Verwalters zu übernehmen und sich um die Kinder zu kümmern.»
    «Sie haben also nur die Jobs neu verteilt? Holländer als Lagerchef, Sie im Hintergrund. Helliger, das macht sie keinesfalls besser als den Mann, den sie rausgeschmissen haben. Was sollte das Ganze?»
    Wenke kochte. «Wollten Sie lieber selbst die fetten Gewinne einstreichen?»
    «Nein! Natürlich nicht!» So barsch hatte Helliger in Wenckes Ohren noch nie geklungen.
    «Sondern?»
    «Meine Güte, überlegen Sie doch. Zwanzig Kinder, einige davon schwerkrank, aber andere auch – bis auf äußere Verletzungen – kerngesund. Und was passiert mit ihnen, wenn ich das Lager von der Polizei – also von Ihnen und Ihren Kollegen – räumen lasse? Wissen Sie das?»
    Nein, Wencke wusste es nicht genau, und auch Sanders schien nur zur vermuten und murmelte: «Krankenhaus?»
    «Ja, für ein paar Tage, vielleicht nur wenige Stunden. Sie vergessen: Die Kinder sind arm, illegal hier und somit ohne jede Versicherung. Keine Klinik ist scharf auf solche Patienten. Eventuell wären sie eine Zeit lang in einem Heim untergebracht worden, dann hätte es geheißen: ‹Ab nach Hause. Dorthin, wo dich keiner haben will. Deine Eltern haben dich verkauft, von Rückgaberecht war nie die Rede. Sieh zu, wie du klarkommst. Rumänien freut sich auf dich.›»
    «Deswegen haben Sie es für die bessere Lösung gehalten, mitzuspielen? Freiheitsentzug und Kinderarbeit als gnädige Alternative? Ich bitte Sie, Helliger, wenn Sie so ein Samariter sind, dann verkaufen Sie Haus und Hof und adoptieren die ganze Bande!» Wencke schickte ein bitteres Lachen hinterher.
    «Ja, Sie sagen das so, Frau Kommissarin. Aber ich weiß, Ihr Sarkasmus soll lediglich überspielen, dass Sie die Realität nur allzu gut kennen.»
    «Unterlassen Sie es bitte, mich zu analysieren. Fakt ist, dass Sie sich anmaßen, zu entscheiden, was für einen Haufen Kinder – entschuldigen Sie diesen Begriff, aber ich bin mir nicht so sicher, ob wir hier über junge Menschen oder eine Ware, eine Investition reden –, Sie wollen entscheiden, was für diese das Richtige ist. Und da überschätzen Sie sich, Helliger, und zwar bei weitem.»
    «Manchmal sind Umstände, die uns hier unzumutbar erscheinen mögen, grausam und menschenverachtend, für andere eine gute Lösung. So ist es nun mal. Zwischen Schwarz und Weiß findet man jede Menge Nuancen, und wie ein Mensch das Ganze wahrnimmt, hängt auch oft von der Perspektive ab. Für Sie ist das hier ein Lager, aber für meine Kinder ist es fast ein Zuhause geworden.»
    Wencke entwich ein verächtliches Schnauben. Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? Zu gern hätte sie ihm ihren Spott gegen den Kopf geknallt, doch ihr fehlten einfach die Worte. Es reichte nur für eine lahme Wiederholung: «Ein Zuhause …»
    Dann geschah etwas Unerwartetes. Etwas, dass so gar nicht in das heftige Wortgefecht der letzten Minute, sondern eher zu dem altbekannten braven, biederen Sebastian Helliger, dem Moorkönig, passte. Er breitete einen Arm in einladender Geste aus, genau so, wie er es bei ihrer ersten Begegnung auf dem Heiliger-Hof getan hatte, er räusperte sich, nickte höflich. «Vielleicht wollen Sie sich die Räume einfach mal anschauen?»
    Sanders sah ungläubig von ihm zu Wencke. «Eine Führung durch Ihr Lager? Aber Sie waren doch bestimmt schnell genug, alles Verdächtige zu entfernen. Für wie beschränkt halten Sie uns eigentlich?» Dennoch folgte Sanders der Einladung, und auch Wencke

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