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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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erhöht – ein erstaunlicher Wandel des Lebensstils in so kurzer Zeit. Im Jahr 1970 war ein Fünftel der Amerikaner im Alter von 25 Jahren noch nicht verheiratet. 2005 waren es 60 Prozent.
    Wie Wuthnow zeigt, verbringen Menschen in sämtlichen Industriestaaten mehr Jahre in der Schule, und sie brauchen länger, um ihre Ausbildung zu beenden. 5 Der durchschnittliche College-Absolvent brauchte im Jahr 2000 20 Prozent länger, um einen Abschluss zu machen, als der durchschnittliche Student im Jahr 1970.
    Diese Veränderungen werden durch mehrere miteinander verbundene Phänomene verursacht. Menschen leben länger und haben daher mehr Zeit, um sich für einen bestimmten Lebensweg zu entscheiden. Die Volkswirtschaft ist komplexer geworden, mit einem breiteren Spektrum an beruflichen Laufbahnen, sodass es ein Weilchen dauert, bis man die richtige gefunden hat. Die Segmentierung der Gesellschaft hat zugenommen, weshalb es länger dauert, bis Menschen die passende psychische Nische für sich gefunden haben. Frauen sind besser ausgebildet als früher und arbeiten häufiger Vollzeit. Im Jahr 1970 arbeiteten nur 26 Prozent der Frauen in den USA 50 Wochen pro Jahr außer Haus. 6 Im Jahr 2000 waren es schon 45 Prozent. Viele dieser Frauen wollen (oder fühlen sich dazu gezwungen), Heirat und Familiengründung so lange aufschieben, bis sie beruflich Fuß gefasst haben.
    Schließlich haben junge Menschen eine ambivalente Einstellung zum Erwachsensein. Wie Arnett darlegt, wünschen sie sich die Sicherheit und die Stabilität, die das Erwachsenenalter mit sich bringt, aber sie wollen nicht in einen Alltagstrott verfallen. Sie wollen ihre Spontaneität nicht einschränken, und sie wollen ihren Träumen keine Schranken setzen.
    Diese Veränderungen hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die Art und Weise, wie sich Harold und seine Altersgenossen ihre Lebenswege vorstellten. So hielten es frühere Generationen beispielsweise für selbstverständlich, dass ein junger Mensch zuerst heiraten und sich dann zusammen mit seinem Ehepartner eine Existenz aufbauen sollte. Menschen in Harolds Gesellschaftsschicht sahen das für gewöhnlich anders. Vor allem anderen galt es, beruflich Fuß zu fassen. Erst danach, wenn man einen sicheren Arbeitsplatz hatte und sich eine Hochzeit leisten konnte, heiratete man.
    Harold und seine Freunde waren keine Rebellen. Im Großen und Ganzen wünschten auch sie sich eine stabile Ehe, zwei Kinder, ein Haus in einer Vorortsiedlung und ein sicheres Einkommen. Menschen der gegenwärtigen Generation sagen mit höherer Wahrscheinlichkeit als Angehörige früherer Generationen, dass Eltern ihr eigenes Glück um ihrer Kinder willen opfern sollten. Aber Erstere sind in Frieden und (zum größten Teil) Wohlstand aufgewachsen, weshalb sie ihre Fähigkeit, ihre Träume zu verwirklichen, erstaunlich optimistisch einschätzen. Etwa 96 Prozent der 18- bis 29-jährigen Amerikaner stimmen der Aussage zu: »Ich bin mir sicher, dass ich eines Tages das erreichen werde, was ich mir für mein Leben vorgenommen habe.« 7 Sie sind überaus – ja in geradezu aberwitziger Weise – angetan von ihrer eigenen Besonderheit. Auf die Frage in einem Persönlichkeitstest, ob sie sich selbst für eine bedeutende Person hielten, antworteten 1950 zwölf Prozent der Jugendlichen mit ja. 8 Ende der 1980er Jahre bejahten 80 Prozent der Jugendlichen diese Frage.
    Ungeachtet seiner Überzeugung, dass sich alles letztlich zum Guten wenden würde, lebte Harold in einer Welt, die ›unterinstitutionalisiert‹ war. Weil die Odyssee-Lebensphase so neu war, hatten sich noch keine strukturierenden Gruppen und Gepflogenheiten herausgebildet. Er gehörte keiner Kirchengemeinde an (heute gehen viel weniger junge Menschen in die Kirche als in den 1970er Jahren), 9 und er hatte auch keine klare ethnische Identität. Seine Weltsicht wurde nicht von einer einzelnen lokalen Zeitung oder einem einzigen Meinungsführer geformt (er surfte im Internet). Seine Weltsicht war auch nicht von einem welthistorischen Ereignis wie etwa der Depression in den 1930er Jahren oder dem Zweiten Weltkrieg geprägt. Nicht einmal akute finanzielle Zwänge saßen ihm im Nacken. Im Alter zwischen 18 und 34 Jahren wird der Durchschnittsamerikaner von Mama und Papa mit 38 000 Dollar subventioniert; 10 und auch Harold war auf eine gewisse Unterstützung angewiesen, um seine Miete zahlen zu können.
    Er lebte in einer sozialen Landschaft mit erstaunlich wenigen Leitplanken. An manchen Tagen

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