Das soziale Tier
junge Erwachsene geworden. Sie sind zu Orten geworden, wo Menschen in ihren Zwanzigern verschiedene Identitäten ausprobieren. Sobald sie dann wissen, wer sie sind, gehen sie weg. 38 Prozent der jungen Amerikaner sagen, sie würden gern in Los Angeles leben, aber nur acht Prozent der älteren Amerikaner wünschen sich dies. 2 Harolds Freunde tauchten im einen Jahr in San Francisco auf und im nächsten in Washington, D.C . Alles bis auf ihre E-Mail-Adressen änderte sich.
Andererseits wollte Harold unbedingt wissen, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Er träumte davon, eine Berufung zu finden, die alle Ungewissheit beenden und seinem Leben Sinn geben würde. Er sehnte sich nach einem Thema, das sich wie ein roter Faden durch sein Leben zöge und ihn von der unangenehmen Empfindung befreien würde, dass jeder Moment seines Lebens in keinem Zusammenhang mit dem stand, was davor war und was danach käme. Er träumte davon, dass ihn eines Tages ein allwissender Mentor unter seine Fittiche nehmen und ihm sagen würde, wie er leben solle und weshalb er auf der Erde sei. Aber sein Moses kam nie. Natürlich konnte er auch gar nicht kommen, weil man seine Berufung nur durch praktisches Ausprobieren entdecken kann, bei dem man herausfindet, ob es sich stimmig anfühlt. Es gibt nichts, was einem das Ausprobieren verschiedener Lebensentwürfe abnehmen kann, wenn man wirklich den Entwurf finden will, der zu einem passt.
In der Zwischenzeit entwickelte sich Harold in eine Richtung, die er selbst nicht besonders mochte. Er hatte eine Persönlichkeit ausgebildet, die mit ihrer Sensibilität renommieren ging. Er hatte noch nicht viel erreicht, aber er konnte sich wenigstens mit seiner überlegenen Sensibilität selbst schmeicheln. Er sah sich jene Comedy-Shows im Fernsehen an, die das Statusstreben junger Menschen ausnutzen, indem sie berühmte Personen, die beruflich erfolgreich, aber charakterliche Nieten sind, verspotten.
Gleichzeitig konnte er ein schamloser Opportunist sein. Auf Cocktailempfängen gab er sich äußerst umgänglich, um einen guten Eindruck auf einen Vorgesetzten zu machen. Er stellte fest, dass Menschen, je höher sie gesellschaftlich aufsteigen, eine umso größere Dosis täglicher Schmeichelei benötigen, um ihr psychisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Er wurde sehr gut darin, diesen Bedarf zu stillen.
Harold machte auch die Erfahrung, dass es gesellschaftlich akzeptabel ist, seinen Chefs tagsüber zu schmeicheln, solange man abends, wenn man mit seinen Kumpels einen trinken geht, in übelster Weise über sie ablästert. Er staunte über die College-Versager, die die vier Jahre auf der Hochschule isoliert und ohne Freunde vor der Glotze verbracht und sich Sitcoms reingezogen hatten und die jetzt vielversprechende junge Produzenten und für einen Monat Hollywoods Nummer eins waren. Die Welt der Erwachsenen schien geheimnisvoll und irgendwie pervers zu sein.
Die Jahre der Odyssee
Harold gehörte einer Generation an, die eine neue Lebensphase einleitete, die Jahre der Odyssee. Früher gab es vier Lebensphasen – Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter und hohes Alter. Heute gibt es mindestens sechs – Kindheit, Jugend, Odyssee, Erwachsenenalter, aktives Seniorenalter und hohes Alter. Die Odyssee ist das Jahrzehnt der Wanderung, das zwischen Jugend und Erwachsensein liegt.
Erwachsensein lässt sich durch vier Leistungen definieren: Auszug aus dem Elternhaus, Heirat, Familiengründung und finanzielle Unabhängigkeit. Im Jahr 1960 hatten 70 Prozent der 30-jährigen Amerikaner diese Kriterien erfüllt. Im Jahr 2000 traf das auf weniger als 40 Prozent zu. In Westeuropa, wo dieser Trend begann, sind die Zahlen noch niedriger. 3
Die Existenz dieses neuen Lebensabschnitts lässt sich an einer Reihe von Zahlen ablesen, die Wissenschaftler wie Jeffrey Jensen Arnett in seinem Buch Emerging Adulthood, Robert Wuthnow in seinem Buch After the Baby Boomers, Joseph und Claudia Allen in ihrem Buch Escaping Endless Adolescence und William Galston von der Brookings Institution zusammengetragen haben.
Menschen weltweit leben heutzutage öfter unverheiratet zusammen und schieben die Heirat auf. 4 Anfang der siebziger Jahre haben 28 Prozent der Amerikaner vor ihrer Ehe mit einem Partner zusammengelebt. In den neunziger Jahren waren es bereits 65 Prozent. Zwischen 1980 und 2000 hat sich das Durchschnittsalter bei der ersten Heirat in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien um fünf bis sechs Jahre
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