Das soziale Tier
hatte er das Gefühl, als würde er darauf warten, dass sich eine Reihe von Meinungen, Gewohnheiten und Zielen in seinem Kopf herauskristallisierte. Der Gesellschaftskritiker Michael Barone behauptet, die Vereinigten Staaten brächten mäßig eindrucksvolle 20-Jährige, aber sehr beeindruckende 30-Jährige hervor. 11 Er sagt, der starke Druck und die schwierigen Entscheidungen, die Menschen in ihren Zwanzigern zu treffen hätten, in denen ihnen viele Türen offen stünden und ihnen niemand Vorschriften mache, formten einen neuen und stabileren Charakter.
Harold war sich dessen nicht so sicher – verbrachte er doch beunruhigend viel Zeit damit, auf dem abgerissenen Sofa eines Freundes das Computerspiel Call of Duty: Black Ops zu spielen. Aber wenigstens erlebte er Momente intensiver Lust, und er hatte außerdem einen großen Freundeskreis.
Die Gruppe
In den Jahren zwischen dem Auszug aus seinem Elternhaus und dem Zusammenleben mit seiner Frau lebte Harold mit »der Gruppe«. Die Gruppe war eine Gang von Freunden, die genauso in der Luft hingen wie er. Sie waren zwischen 22 und 30 Jahre alt. Der Kern der Truppe kannte sich vom College, aber sie hatten nebenher eine Reihe handverlesener Freunde in ihren Kreis aufgenommen, sodass dieser jetzt aus etwa 20 Leuten bestand.
Die meisten von ihnen – einschließlich Mark, wenn er da war – trafen sich einmal pro Woche in einem kleinen Imbiss zum Abendessen. Sie bildeten eine Softball-Mannschaft, und einige von ihnen spielten auch zusammen Volleyball. An Thanksgiving und an Weihnachten organisierten sie für Gruppenmitglieder, die nicht nach Hause zu ihrer Familie fahren konnten, gemeinsame Abendessen. Sie liehen sich gegenseitig Geld, fuhren sich gegenseitig zum Flughafen, halfen sich beim Umzug und leisteten sich all die Hilfestellungen, die in einer traditionsgebundenen Gesellschaft Mitglieder einer Großfamilie füreinander erbrachten.
Harold war überzeugt davon, dass seiner Gruppe die talentiertesten Genies angehörten, die je zusammengebracht worden waren. Einer von ihnen war ein Singer-Songwriter, eine andere machte ihre Facharztausbildung, ein Dritter machte Kunst und arbeitete als Grafikdesigner. Selbst diejenigen, die langweilige Berufe hatten, hatten interessante Seiten und Hobbys – Heißluftballonfahren, Extremsportarten oder ein großes Potenzial als zukünftige Kandidaten der Quizshow Jeopardy! . Affären und Beziehungen innerhalb der Gruppe waren verpönt. Eine Ausnahme wurde nur dann gemacht, wenn das betreffende Pärchen es wirklich ernst miteinander meinte.
Die Gespräche innerhalb der Gruppe waren damals der aufregendste Teil von Harolds Leben. Sie plauderten stundenlang, in Cafés, Bars und auf Partys. Dabei sprachen sie Dialoge aus Episoden der Sitcom 30 Rock nach, beschwerten sich über Vorgesetzte, coachten sich gegenseitig für Vorstellungsgespräche und diskutierten auch ernste Themen, etwa die Frage, ob es Menschen über 40 erlaubt sein solle, Sneakers in der Öffentlichkeit zu tragen, wenn sie gerade nicht trainierten. Sie ergötzten sich an nostalgischen Gesprächen darüber, wer wegen übermäßigen Alkoholkonsums wen im College angekotzt hatte. Sie schickten einander »Philosogramme« – kurze pseudo-tiefsinnige Texte wie beispielsweise die Frage: »Bist du nicht auch der Meinung, dass mein Narzissmus das Interessanteste an mir ist?« Sie verteilten Whuffies, eine Währung auf der Basis der persönlichen Reputation, die Cory Doctorow in seinem Science-Fiction-Roman Backup erfunden hatte und die sie Leuten zuerkannten, die Dinge taten, die ihnen zwar kein Geld einbrachten, aber kreativ oder einfach nur amüsant waren. Sie verbrachten viel Zeit damit, elementare Fragen zu erörtern, wie etwa, wer von ihnen so intelligent oder skrupellos sei, dass er es in der Welt zu etwas bringen würde.
Forscher haben sich in den letzten Jahren eingehend damit beschäftigt, soziale Netzwerke zu analysieren. Es zeigte sich, dass fast alles ansteckend ist. Wenn die eigenen Freunde fettleibig sind, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass man selbst auch fettleibig wird. Wenn die Freunde glücklich sind, ist man selbst ebenfalls eher glücklich. Wenn die Freunde rauchen, raucht man selbst auch. Wenn sie sich einsam fühlen, fühlt man sich selbst auch einsam. Tatsächlich haben Nicholas Christakis und James H. Fowler herausgefunden, dass die Freunde einer Person einen größeren Einfluss darauf haben, ob sie fettleibig wird, als ihr Ehepartner.
Aber um
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