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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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ehrlich zu sein, verbrachte Harold deshalb so gern Zeit mit der Gruppe, weil er sich keine Gedanken darüber machen musste, ob sie irgendeinen Nutzen hatte oder nicht. Die Zugehörigkeit zur Gruppe war ein Selbstzweck. Mehr Zeit mit seinen Freunden zu verbringen bedeutete, so häufig wie möglich das Gefühl zu haben, lebendig zu sein; ansonsten war kein höherer Zweck damit verbunden. Sie konnten sich stundenlang die Köpfe heiß reden. Oft tanzten sie auch. In den meisten Gesellschaften gibt es ritualisierte Gruppentänze. Die moderne amerikanische Gesellschaft hat einen Großteil dieser Tänze abgeschafft (außer Squaredance und einigen wenigen anderen Spezialitäten). Heute sind es vor allem Pärchen, die tanzen, um sich auf den Sex vorzubereiten. Doch wenn die Mitglieder der Gruppe zusammenkamen, tanzten alle. Sie trafen sich in einer Bar oder einer Wohnung und bildeten einen großen Haufen von Tänzern – eine Schar von Leuten, ohne festgelegte Paarung oder vorgegebene Formationen. Sie tanzten quer durch die Menge, bald mit dem einen, bald mit dem anderen, egal ob Mann oder Frau, und bewegten sich dann weiter in einen anderen Winkel der Schar, die ständig ihre Form veränderte. Bei dem Tanzen ging es um nichts. Es ging nicht ums Flirten. Es ging nicht ums Verführen. Es war einfach nur körperlicher Überschwang, hervorgerufen durch die Freude, zusammen zu sein.
    Schicksal
    Und dann kam eines Tages – genau genommen im Verlauf von 48 Stunden – das Schicksal dazwischen. Harold war mit Mark und einigen Freunden aus der Gruppe in eine Bar gegangen, um sich im Fernsehen den Weltcup anzusehen. Die Partie steuerte auf ihren Höhepunkt zu, als Mark ihn mit dem Ellbogen anstieß, um ihm einen Gedanken mitzuteilen, der ihm gerade gekommen war: »He, hast du Lust, mit nach L. A. zu kommen und dort mit mir als Fernsehproduzent zu arbeiten?«
    Harold sah ihn eine Sekunde lang an, ehe er sich wieder dem Spiel zuwandte. »Hast du dir das auch gut überlegt?«
    »Das brauch ich nicht. Es ist mein Schicksal. Ich bin dafür bestimmt.« Die Partie ging hin und her. Alle in der Bar schrien durcheinander, während Mark das Leben skizzierte, das sie führen würden. Zuerst würden sie ein paar drittklassige Serien produzieren – vielleicht Infomercials und Polizeiserien. Dann würden sie sich mit dem verdienten Geld ein paar Jahre lang ein schönes Leben machen. Anschließend würden sie etwas Cooles produzieren. Dann würden sie sich Häuser in verschiedenen Gegenden der Welt kaufen und wieder Spaß haben. Danach würden sie große Dramen für den Bezahlsender HBO produzieren und die Welt verändern. Das Großartige wäre, so Mark, dass sie Geld wie Heu machen würden, völlige Freiheit hätten und niemals an eine Sache, ein Projekt oder eine Idee gebunden wären. Es wäre die absolute Freiheit.
    Merkwürdigerweise zweifelte Harold keinen Moment daran, dass Mark alles erreichen würde, was er sich vornahm. Er besaß das, was Harold einmal »universell getaktete Oberflächlichkeit« nannte. Das sollte heißen, dass Mark genauso seicht war, wie es dem Markt zupasskam. Er war weder zu kompliziert noch zu experimentierfreudig. Was ihm gefiel, gefiel den Menschen. Was er verabscheute, verabscheuten die Menschen – oder doch zumindest jener Teil der Menschheit, der für Vorabendserien im Fernsehen und Samstagabende im Kino lebte und starb.
    Dennoch sträubte sich Harold. »Das ist doch kein Leben«, antwortete er. Und so begann ihre Diskussion, die Diskussion, auf die sie seit jenem Tag vor Jahren, als Harold in dem Studentenwohnheimzimmer Mark zum ersten Mal begegnet war, zugesteuert waren. Es war die Grundsatzdebatte über Freiheit und Bindung, darüber, ob man im Leben glücklicher ist, wenn man ungebunden oder wenn man fest verwurzelt ist.
    Mark legte seinen Standpunkt dar, anschließend trug Harold seine Sichtweise vor, und keiner von beiden hatte Argumente, die als besonders originell gelten konnten. Mark malte ein Bild von endlos aufregenden Zerstreuungen – die Welt bereisen und Neues ausprobieren. Dem stellte er den schalen Alltagstrott gegenüber, der sich in mittleren Jahren einstellt, wenn man jeden Morgen zum selben Arbeitsplatz aufbricht und am Abend zur selben Frau zurückkehrt und sich in den Schlaf hineintrinkt, um die stumme Verzweiflung tief im Innern zu vergessen.
    Harold vertrat den entgegengesetzten Standpunkt. Er zeichnete ein Bild liebevoller Beziehungen und stabiler Bindungen – langjährige Freunde,

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