Das soziale Tier

sagte, er werde in einer Woche anrufen, aber es wurden dann zwei. Sie hatte den Vibrationsalarm ihres Handys die ganze Zeit über eingestellt, und jedes kleine Summen – ob real oder eingebildet – ließ sie nach dem Telefon greifen. Endlich kam der Anruf. Weitere Auswahlgespräche wurden vereinbart, und nach einem weiteren Monat war sie wieder eine Angestellte. Sie hatte ein hübsches Büro. Sie ging zu Sitzungen und fand sich umgeben von den Meistern der Selbstüberschätzung.
    Übersteigertes Selbstvertrauen
    Der menschliche Verstand ist eine Maschine übersteigerten Selbstvertrauens. Das Bewusstsein rechnet sich Dinge als Verdienst an, auf die es gar keinen Einfluss hatte. Es fabriziert Geschichten, um die Illusion zu erzeugen, es kontrolliere Dinge, über die es in Wirklichkeit keinerlei Gewalt hat. 90 Prozent der Autofahrer glauben, sie seien überdurchschnittlich gut hinterm Steuer. 3 94 Prozent der College-Professoren halten sich für überdurchschnittlich gute Lehrer. 4 90 Prozent der Existenzgründer glauben, dass ihr neues Unternehmen erfolgreich sein wird. 5 98 Prozent der Studenten, die den Studierfähigkeitstest ablegen, sagen, sie besäßen durchschnittliche oder überdurchschnittliche Führungsqualitäten. 6
    College-Studenten überschätzen in sehr hohem Maße ihre Chancen, einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu bekommen, ins Ausland zu reisen und dauerhaft verheiratet zu bleiben. 7 Beim Kleiderkauf wählen Menschen mittleren Alters im Allgemeinen zu eng sitzende Kleidung, weil sie fest vorhaben, abzuspecken – dabei wird die große Mehrheit der Menschen in ihrer Altersgruppe Jahr für Jahr immer dicker. Golfer, die an der PGA-Tour teilnehmen, schätzen, dass sie 70 Prozent ihrer Sechs-Fuß-Putts einlochen, während tatsächlich nur 54 Prozent der Putts aus dieser Entfernung ins Loch fallen. 8
    Die Selbstüberschätzung manifestiert sich auf vielfältige Weise. Menschen überschätzen ihre Fähigkeit, ihre unbewussten Regungen zu kontrollieren. Sie erwerben ein Abo für ein Fitness-Studio, aber dann können sie sich nicht aufraffen, auch hinzugehen. Menschen überschätzen, wie gut sie sich kennen. Die Hälfte aller Studenten an der Penn State University sagte, sie würden Stunk machen, wenn jemand in ihrer Gegenwart einen sexistischen Kommentar abgebe. Als Forscher dann dafür sorgten, dass dies tatsächlich geschah, protestierten nur 16 Prozent. 9
    Menschen überschätzen ihr Wissen. Paul J. H. Schoemaker und J. Edward Russo verteilten Fragebögen an Manager, um herauszufinden, wie viel sie über die Branchen, in denen sie tätig waren, wussten. Dann fragten sie sie, wie sicher sie sich ihrer Antworten seien. Manager in der Werbebranche waren sich sicher, 90 Prozent der Fragen über ihre Branche richtig beantwortet zu haben, während in Wirklichkeit 61 Prozent falsch waren. Manager in der Computerbranche glaubten, sie lägen vielleicht in fünf Prozent der Fälle daneben, während tatsächlich 80 Prozent ihrer Antworten nicht stimmten. Russo und Schoemaker teilten ihre Tests an über 2000 Personen aus – 99 Prozent überschätzten ihren Erfolg. 10
    Menschen überschätzen nicht nur ihr Wissen, sie überschätzen auch das, was sie wissen können. Bestimmte Bereiche des Lebens wie der Aktienmarkt sind so komplex und so zufallsabhängig, dass man selbst nahe bevorstehende Ereignisse nicht mit Sicherheit vorhersagen kann. Das scheint allerdings keine Auswirkungen auf das tatsächliche Verhalten zu haben, wie beispielweise das Stock-Picking belegt, mit dessen Hilfe manche Strategen immer wieder gezielt überdurchschnittlich rentable Einzelwerte herauszupicken versuchen. Brad Barber und Terrance Odean analysierten über 66 000 Wertpapiergeschäfte von Discount-Broker-Kunden. 11 Die Händler, die am optimistischsten waren, machten die meisten Geschäfte, aber sie schnitten schlechter ab als der Gesamtmarkt.
    Menschen lassen sich von ihrem Glück berauschen. Andrew Lo vom MIT hat nachgewiesen, dass im Gehirn von Aktienhändlern, die eine Reihe von guten Tagen erleben, Dopamin ausgeschüttet wird, das zu Selbstüberschätzung führt. 12 Sie glauben, sie hätten sich diese Glückssträhne selbst zuzuschreiben; sie hätten den Markt überlistet. Sie werden blind gegenüber dem Risiko fallender Aktienkurse.
    Menschen überschätzen ihre Fähigkeit, zu verstehen, weshalb sie gewisse Entscheidungen treffen. Sie erfinden Geschichten, um ihr Verhalten zu erklären, selbst wenn sie keine Ahnung davon haben, was in