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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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ihrem Innern vor sich geht. Nachdem sie eine Entscheidung getroffen haben, lügen sie sich selbst etwas vor in Bezug auf die Motive ihrer Entscheidung und darüber, ob es unter den Umständen die richtige Entscheidung war. Daniel Gilbert von der Harvard University behauptet, wie hätten ein psychisches Immunsystem, das Informationen überzeichnet, die unsere guten Eigenschaften bestätigen, und Informationen ausblendet, die diese in Zweifel ziehen. 13 In einer Studie verbrachten Versuchspersonen, denen gesagt worden war, sie hätten bei einem IQ -Test schlecht abgeschnitten, viel mehr Zeit mit der Lektüre von Zeitungsartikeln über die Mängel von IQ -Tests als andere. Menschen, die von einem Vorgesetzten eine begeisterte Beurteilung bekommen hatten, entwickelten ein verstärktes Interesse daran, Berichte darüber zu lesen, wie gescheit und scharfsinnig dieser Vorgesetzte war.
    Interessanterweise hat Selbstvertrauen sehr wenig mit der tatsächlichen Kompetenz zu tun. Zahlreiche Studien belegen, dass inkompetente Menschen ihre eigenen Fähigkeiten stärker überzeichnen als ihre leistungsfähigeren Kollegen. 14 Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass diejenigen, die bei Tests über Logik, Grammatik und Humor zu den schwächsten 25 Prozent gehören, ihre Fähigkeiten besonders stark überschätzen. Viele Menschen sind nicht nur inkompetent, sondern sie leugnen, dass sie es sind.
    Es ist also nicht übertrieben zu sagen, dass sich Menschen im Allgemeinen überschätzen. Ericas Kollegen bei Intercom aber ritten das Ross der Arroganz nicht nur, sie stellten es auch noch stolz zur Schau. Der Vorstandschef, Blythe Taggert, hatte noch keine Organisation kennengelernt, die er nicht hatte umkrempeln wollen. Als er ins Unternehmen eintrat, erklärte er dem eingewurzelten Bürokratismus und dem »alten Denken« den Krieg. Das führte auch dazu, dass sich seine revolutionäre Inbrunst manchmal in Verachtung für erfahrene Manager und altbewährte Praktiken verwandelte. Er verfasste mitten in der Nacht interne Anweisungen, meist ohne lange nachzudenken, die dann abteilungsübergreifend Verwirrung stifteten. Er ließ sich von Aphorismen und Regeln leiten, die sich in Reden gut anhörten, aber oftmals nichts mit der Realität zu tun hatten. Er ließ ungeduldig Präsentationen über sich ergehen, deren Ausarbeitung Wochen gedauert hatte, nur um anschließend geistesabwesend zu bemerken: »Diese Ideen hauen mich nicht vom Hocker«, und dann schlenderte er aus dem Zimmer, während seine Anhänger lachten.
    Er war so erpicht darauf, als ein heroischer Innovator gesehen zu werden, dass er das Unternehmen durch eine Reihe von Firmenankäufen auf Märkte und in Nischen führte, die niemand richtig durchschaute. Das Unternehmen wurde so groß, dass es sich nicht mehr führen ließ, und in seinem Streben nach den neuesten und innovativsten Techniken tolerierte er Buchhaltungspraktiken und Organisationspläne, die zu komplex waren, um noch begriffen zu werden.
    Bei jeder Sitzung sprach er als Erster. Seine Ansichten waren so unumstößlich, dass nur wenige gewillt waren, ihm im Anschluss kritische Fragen zu stellen. Das Topmanagement unterstützte derweil diese Diversifizierung in neue Sektoren. Dem lag vermutlich die Annahme zugrunde, dass durch den Einstieg in unterschiedliche Märkte mit vielen verschiedenen Produkten das Risiko gestreut werden könne. In Wirklichkeit war es so, dass mit der Anzahl der Sektoren, in denen sie aktiv wurden, das Wissen über jeden einzelnen Sektor sank. 15 Diese Strategie stärkte jene Führungskräfte, die nur darauf aus waren, den nächsten Deal abzuschließen, und schwächte die Manager, die ihr Berufsleben in einem bestimmten Markt verbracht hatten und genau wussten, wie er funktionierte.
    Das Unternehmen verbrachte mehr Zeit damit, seine Struktur in den Griff zu bekommen, als seine Produkte zu verbessern. In der Hoffnung, eine bestimmte Maßeinheit zu finden, die sich dazu eignete, die Ergebnisbeiträge unterschiedlichster Produktlinien zu vergleichen, entwickelten Manager pseudo-objektive Erfolgskriterien. Diese Erfolgsmaßstäbe standen nur in einem sehr losen Zusammenhang mit dem langfristigen Wachstum. Die Manager verbrachten mehr Zeit damit, auszutüfteln, wie sie diese Kriterien manipulieren konnten, als nachhaltig positive Ergebnisse zu erwirtschaften.
    Die Finanz- und die Buchhaltungsabteilung verliebte sich, mit Zustimmung des Vorstandschefs, in undurchsichtige Risikosteuerungsinstrumente, die

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