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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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den ganz wenigen, die behaupteten, sie zu verstehen, brillant erschienen, in Wirklichkeit aber die Risikoanalyse erschwerten. Erica fiel auf, dass in den PowerPoint-Diagrammen niemand die Prognosen farbig unterlegte. In allen anderen Unternehmen wurden Daten der Vergangenheit vor einem weißen Hintergrund gezeigt, während Vorhersagen gelb unterlegt oder durch eine gestrichelte Linie markiert wurden. Diese Typen waren so sehr von ihren prognostischen Fähigkeiten überzeugt, dass sie sich damit nicht abgaben. Sie waren in einer Macho-Kultur verfangen, in der es schlichtweg undenkbar war, zuzugeben, dass sie etwas nicht wussten.
    Seltsamerweise war es so, dass die Führungskräfte mit zunehmender geschäftlicher Diversifizierung immer gleichförmiger wurden. Sie arbeiteten in vielen verschiedenen Geschäftsfeldern, in Büros, die über die ganze Welt verstreut waren. Man sollte meinen, dass eine solche Struktur ein breites Spektrum von Standpunkten und Erwartungen hervorbringen müsste, die sich gegenseitig ausbalancieren. Aber immer wieder erzeugten Sofort-Mitteilungen und Sofort-Beurteilungen auf der Grundlage dieser Mitteilungen eine Herdenmentalität und eine erstaunliche Kultur intellektueller Homogenität. Immer wieder schlossen Mitarbeiter gleichzeitig dieselben einseitigen Wetten ab. Vielleicht geschieht dies, wenn ein ganzes Unternehmen (oder die gesamte Weltwirtschaft) von ihren BlackBerrys lebt und Entscheidungen in Lichtgeschwindigkeit trifft.
    Ungeachtet dieser Entwicklungen äußerten sich der Aufsichtsrats- und der Vorstandsvorsitzende immer überschwänglicher über den Erfolg des Unternehmens. Während der Konferenzschaltungen, Vertriebssitzungen und Führungskräfte-Klausuren lobte man sich selbst in den höchsten Tönen – sie arbeiteten für das großartigste Unternehmen in Amerika, die innovativste Firma weltweit.
    Am frustrierendsten aber war, dass Erica in einer Sitzung nach der anderen dem nichts entgegenzusetzen hatte. Nicht, dass sie die gewaltigen Probleme des Unternehmens nicht erkannt hätte; wo man auch hinsah, saßen diese großen behaarten Monster herum. Aber die Analyse erfolgte in einem völlig erstarrten Jargon. Erica hatte ihre eigene Sichtweise und ihr eigenes Vokabular, und sie legte dabei besonders großen Wert auf Kultur, zwischenmenschliche Kontakte und Psychologie. All ihre neuen Kollegen hingegen hatten eine andere Sicht auf die Dinge, eine, die auf der Anhäufung riesiger Datenmengen, der Erarbeitung von Formeln und dem Aufbau von Systemen basierte. Diese beiden Beurteilungsweisen schienen keine Berührungspunkte zu haben.
    Vielleicht auf der Universität, vielleicht auch irgendwo anders hatte dieses Team von Quatschköpfen bestimmte Methoden gelernt. Es war ihnen beigebracht worden, aus der Unternehmensführung eine Wissenschaft zu machen. Sie waren nie richtig mit den Leistungsmerkmalen eines bestimmten Produkts vertraut gemacht worden, sondern nur dazu ausgebildet, Organisationen zu untersuchen. Einige hatten sich auf die Theorie dynamischer Systeme spezialisiert, andere nutzten die Six-Sigma-Methode oder die Taguchi-Methode oder die Su-Field-Analyse (die strukturale Substanz-Feld-Analyse). Dann gab es TRIZ , ein in Russland entwickeltes, modellgestütztes Verfahren für erfinderisches Problemlösen. Es gab das Business Process Reengineering. Erica guckte diesen Ausdruck bei Wikipedia nach. Laut einem der Managementbücher, das dort zitiert wurde, verknüpft das BPR »die Zielsetzungen des Just-in-Time-Ansatzes mit denen des Total-Quality-Management, um die Prozessorientierung zu einem strategischen Werkzeug und einer Kernkompetenz der Organisation zu machen. BPR konzentriert sich auf Kerngeschäftsprozesse und nutzt spezifische Techniken aus den JIT - und TQM -Instrumentarien als Enabler, während es zugleich die Prozess-Vision erweitert.« 16
    Erica las Sätze wie diese oder hörte sie in Besprechungen, aber sie hatte keine Ahnung, wie man sie auf die anstehenden Probleme anwenden sollte. Die Worte prallten gewissermaßen an ihrem Schädel ab. Die Menschen, die sie äußerten, schienen großen Wert auf Präzision und Klarheit zu legen. Sie wollten wissenschaftlich sein. Doch der Jargon schien die Bodenhaftung verloren zu haben.
    Die rationalistische Version
    Diese Management-Cracks fielen natürlich nicht vom Himmel. Von John Maynard Keynes stammt der berühmte Satz: »Praktiker, die von sich glauben, sie unterlägen keinerlei intellektuellen Einflüssen, sind für

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