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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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aber beide Strategien gingen bis zu einem gewissen Grad auf. In einer Vorwahl nach der anderen gewann Galving mit riesigem Vorsprung bei den Arbeitern. Grace gewann die Großstädte, die wohlhabenden Vororte und die Universitätsstädte. Aufs ganze Land gesehen gewann Grace die Küsten, während Galvin in den weiten Agrarregionen und den ehemaligen Industriezentren im Süden und im Mittleren Westen der Sieger war; insbesondere dort, wo sich die Schotten und die Iren vor Jahrhunderten angesiedelt hatten. In Connecticut gewann Grace die meisten Städte, die im 17. Jahrhundert von Engländern gegründet worden waren, und Galving die, die Einwanderergruppen 200 Jahre später gegründet hatten. Das sind jahrhundertealte Muster, aber sie prägten noch immer maßgeblich das Abstimmungsverhalten. Als die Wochen ins Land gingen, schien der Wahlkampf selbst keine Rolle zu spielen; die Demografie war entscheidend. In Bundesstaaten mit hohem Arbeiteranteil gewann Galving. In Bundesstaaten mit hohem Akademikeranteil war es Grace.
    Harold war fasziniert von diesen tiefverwurzelten kulturellen Mustern. Nach seiner Theorie hatte sich die politische Partei als solche, so wie viele Institutionen, in verschiedene Subkulturen aufgespalten. Zwischen den Kulturen gab es keine großen Feindseligkeiten; sobald ein Kandidat gewählt worden war, würden sie sich hinter ihm scharen. Dennoch hatten Menschen in den verschiedenen Gesellschaftsschichten, die weitgehend durch das Bildungsniveau definiert wurden, verschiedene unbewusste Karten der Wirklichkeit entwickelt. Sie hatten unterschiedliche gruppenspezifische Anschauungen darüber entwickelt, was eine gute politische Führungspersönlichkeit ausmacht und in was für einer Welt sie leben wollten. Sie hatten unterschiedliche Definitionen von Gerechtigkeit und Fairness, Freiheit, Sicherheit und Selbstverwirklichung entwickelt, ohne dies überhaupt zu bemerken.
    Wähler entwerfen unendlich komplexe mentale Karten, die selbst von denjenigen, die sie sich zu eigen machen, kaum verstanden werden. Sie nehmen Millionen subtiler Signale von den Kandidaten auf – von ihrer Körpersprache, Wortwahl, Mimik, ihren politischen Prioritäten und biografischen Details. Irgendwie bilden Wähler auf dieser Grundlage emotionale Präferenzen aus.
    Was Harold im Wahlkampf sah, entsprach mit Sicherheit nicht dem rationalistischen Politikmodell, wonach Wähler die Programme sorgfältig abwägen und sich für den Kandidaten entscheiden, dessen politische Ziele die größte Übereinstimmung mit ihren Interessen aufweisen. Es entsprach eher dem Modell der sozialen Identität, nach dem Menschen die Partei bevorzugen, der Personen angehören, die sie mögen und bewundern.
    Wie die Politikwissenschaftler Donald Green, Bradley Palmquist und Eric Schickler in ihrem Buch Partisan Hearts and Minds darlegen, übernehmen die meisten Menschen ihre Vorliebe für eine Partei entweder von ihren Eltern, oder sie entwickeln im frühen Erwachsenenalter eine Bindung an diese oder jene Partei. Nur wenige Menschen ändern ihre Parteibindung im mittleren Lebensalter. 1 Selbst bedeutende historische Ereignisse wie die Weltkriege oder der Watergate-Skandal verursachen keine größeren Verschiebungen bei den Parteibindungen.
    Außerdem, so Green, Palmquist und Schickler weiter, bilden sich Parteibindungen nicht dadurch, dass Menschen die Parteiprogramme vergleichen und dann entscheiden, bei welcher Partei die nationalen Interessen am besten aufgehoben sind. Die Autoren, die sich auf eine breite Datenbasis stützen, behaupten, die Parteibindung sei eher mit der Bindung an eine religiöse Konfession oder einen Verein zu vergleichen. Menschen haben mentale Stereotype darüber, wie Demokraten und wie Republikaner sind, und sie neigen der Partei zu, der Menschen wie sie selbst angehören. 2
    Sobald sie eine Bindung entwickelt haben, modifizieren sie ihre Weltanschauungen und ihre Wahrnehmungen der Wirklichkeit so, dass sie sich immer stärker den Mitgliedern ihrer politischen Gruppierung anpassen. Paul Goren von der University of Minnesota hat mit Hilfe von Umfragedaten den Wandel der Parteibindung bestimmter Wähler über einen längeren Zeitpunkt untersucht. Nach dem klassischen Modell würde man erwarten, dass Menschen, die der Chancengleichheit einen hohen Stellenwert einräumen, Demokraten werden, und dass Menschen, die den Staat zurückdrängen wollen, sich den Republikaner zuwenden. In Wirklichkeit aber ist es so, dass Menschen in der

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