Das soziale Tier
Organisation schlagkräftig führt. Ich hoffe, dass Sie diejenige sein werden, dass Sie meine Wahlkampfmanagerin werden und später, nach meinem Wahlsieg, in gleicher Funktion im Weißen Haus arbeiten.«
Erica hätte nicht in dem Van gesessen, wenn sie nicht bereit gewesen wäre, sein Angebot anzunehmen. Was sie dann auch tat.
»Das ist großartig! Jetzt, wo Sie zugesagt haben, will ich Ihnen beiden etwas über die Welt erzählen, die Sie jetzt betreten werden. Ich wende mich insbesondere an Sie, Harold, weil ich Ihre Bücher gelesen habe, und vermute, dass dieses neue Umfeld gerade für Sie recht fremdartig sein wird.
Ich möchte vorausschicken, dass niemand, der in der Politik ist, das geringste Recht hat, sich zu beklagen. Wir haben uns dafür entschieden, und die Politik hatte ihre Freuden und ihre Belohnungen. Aber im Vertrauen gesagt, gibt es kein anderes Feld, auf dem die charakterlichen Herausforderungen so groß sind. Alles ist umsonst, wenn man die Wahl nicht gewinnt. Und um zu gewinnen, muss man sich in ein Produkt verwandeln. Man muss Dinge tun, die man vorher nie für möglich gehalten hätte. Man muss seine Zurückhaltung auf Eis legen und um Geld und Gefälligkeiten betteln. Man muss in einem fort reden. Man betritt einen Raum und redet, man geht zu einer Kundgebung und redet, man trifft sich mit Unterstützern und redet. Ich nenne das ›Zungendelirium‹ – man redet so viel, dass man sich selbst in den Wahnsinn treibt.
Und worüber redet man? Man muss endlos über sich selbst sprechen. In jeder Rede geht es um mich. Bei jedem Treffen geht es um mich. Jeder Artikel, der mir unter die Nase gehalten wird, handelt von mir. Wenn man erst mal anfängt, über Sie zu schreiben, wird es Ihnen genauso gehen.
Gleichzeitig ist dies aber ein Mannschaftssport. Man kann nichts allein tun, was bedeutet, dass man manchmal seine eigenen Ideen unterdrücken und die Dinge sagen und glauben muss, die gut für die Partei und das Team sind. Man muss eine Waffenbruderschaft mit Leuten eingehen, die man vermutlich nicht mögen würde, wenn man eine Minute darüber nachdächte. Man darf sich nicht allzu weit von seiner Partei oder den Leuten, denen man dient, absetzen. Man darf nicht allzu frühzeitig recht haben oder allzu oft interessant sein. Man muss Maßnahmen befürworten, die man eigentlich ablehnt, und man muss manchmal Dingen widersprechen, die man eigentlich sinnvoll findet. Man muss so tun, als wäre man nach seiner Wahl imstande, alles zu kontrollieren und alles zu verändern. Man muss so tun, als wären die Mythen, die das Team verbreitet, wahr. Man muss so tun, als wäre das andere Team abgrundtief böse und würde Amerika in den Ruin treiben. Etwas anderes zu behaupten würde als eine Bedrohung der Solidarität der Partei verstanden, und an all dem kann man nichts ändern.
Man lebt in einem Kokon. Ich las einmal einen wunderbaren Aufsatz über das Leben einer Zecke. Eine Zecke reagiert offenbar nur auf drei verschiedene Arten von Stimuli. Sie reagiert auf Haut, Temperatur und Haar. Diese drei Reizarten bilden die gesamte Umwelt einer Zecke, also die relevanten Umgebungsfaktoren. Wenn man in der Politik ist, schrumpft die Umwelt und wird gewissermaßen verrückt. Man verlangt von Ihnen, dass Sie sich über die aktuellen Nachrichten auf dem Laufenden halten, auch wenn diese völlig bedeutungslos und am nächsten Tag schon wieder vergessen sind. Sie sehen sich gezwungen, die Blogs von 22-Jährigen zu verfolgen, die mit ihren Webcams ausgesandt wurden, um über diesen Wahlkampf zu berichten – Jugendliche, die noch keine Wahl mitgemacht haben, über keinerlei Geschichtsbewusstsein verfügen und die Aufmerksamkeitsspanne eines Frettchens besitzen. Aufgrund ihrer Anwesenheit darf man nie einen spontanen, nicht im Vorhinein einstudierten Satz äußern. Man kann in der Öffentlichkeit niemals eine neue Idee ausprobieren.
All diese Dinge bedrohen Ihre Fähigkeit, ehrlich zu sich selbst zu sein, die Welt klar zu sehen und sich eine Art grundlegende Lauterkeit zu bewahren. Und doch erdulden wir dieses absurde Theater, weil kein anderer Beruf vergleichbare Gestaltungsmöglichkeiten mit sich bringt. Wenn Sie mit mir im Weißen Haus sein werden, werden Sie stärker beansprucht sein als je zuvor, und jede Entscheidung wird eine wichtige Entscheidung sein. Sobald wir im Weißen Haus sind, müssen wir den Menschen nicht mehr so sehr nach dem Mund reden. Wir werden sie führen und erziehen können. Wenn wir erst einmal
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