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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Regel zuerst Demokraten werden und dann der Chancengleichheit immer mehr Bedeutung beimessen, oder sie werden zuerst Republikaner und halten dann das Zurückdrängen des Staates für immer wichtiger. Die Parteibindung bestimmt oftmals die Werteorientierung und nicht umgekehrt. 3
    Die Parteibindung beeinflusst sogar die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Im Jahr 1960 veröffentlichten Angus Campbell u.a. einen zum Klassiker gewordenen Text, The American Voter, in dem sie behaupteten, die Parteibindung wirke wie ein Filter. Der Anhänger einer Partei filtere Fakten aus, die nicht mit dem von der Partei vertretenen Weltbild übereinstimmten, und überbewerte Fakten, die dieses bestätigten. 4 Im Lauf der Jahre haben zwar einige Politikwissenschaftler diese Behauptung infrage gestellt, doch viele Forscher bestätigen Campbells Schlussfolgerung: Unsere Wahrnehmungen werden in erheblichem Maße von unserer Parteipräferenz verzerrt.
    So hat etwa der Politikwissenschaftler Larry Bartels von der University of Princeton auf Umfragedaten hingewiesen, die nach dem Ende der Präsidentschaften von Reagan und Clinton erhoben wurden. Im Jahr 1988 wurden Wähler gefragt, ob sie glaubten, die Inflationsrate sei während der Präsidentschaft von Reagan gesunken. Tatsächlich war dies der Fall gewesen, die Inflationsrate ging von 13,5 Prozent auf 4,1 Prozent zurück. Nur acht Prozent der überzeugten Demokraten aber glaubten, die Rate sei gefallen. Über 50 Prozent der Demokraten waren der Ansicht, die Inflation habe unter Reagan angezogen. Überzeugte Republikaner schätzten die ökonomischen Trends hingegen viel optimistischer und zutreffender ein. Von ihnen erklärten 47 Prozent, dass die Inflation gesunken sei.
    Am Ende der Präsidentschaft von Bill Clinton wurden den Wählern ähnliche Fragen dazu gestellt, wie es dem Land in den zurückliegenden acht Jahren ergangen sei. Diesmal schätzten die Republikaner die Entwicklung zu negativ ein und die Demokraten bewerteten sie positiver. Bartels gelangte zu dem Schluss, dass Parteibindungen einen beherrschenden Einfluss darauf haben, wie Menschen die Welt wahrnehmen. 5 Sie verstärken und überzeichnen Meinungsunterschiede zwischen Republikanern und Demokraten.
    Manche glauben, diese kognitiven Fehleinschätzungen ließen sich durch mehr Bildung ausmerzen, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Laut Studien von Charles Taber und Milton Lodge von der Stony Brook University liegen gebildete Wähler zwar bei faktischen Informationen meistens richtig, dennoch unterlaufen auch ihnen noch viele faktische Fehleinschätzungen. 6 Und ihre Bereitschaft, falsche Einschätzungen zu korrigieren, ist geringer als bei schlechter informierten Wählern, weil sie so fest davon überzeugt sind, dass sie in jeder Beziehung recht haben.
    Schaut man diese Forschungsergebnisse an, so bekommt man den Eindruck, dass die Kandidatensuche eine ästhetische Suche ist – gesucht wird jemand, der einem sympathisch ist. Einige der Faktoren, die die Entscheidung eines Wählers beeinflussen, wirken sofort und sind scheinbar unwichtig. Wie bereits erwähnt, haben Alex Todorov u. a. in Princeton ihren Versuchspersonen Schwarzweißfotos der Gesichter konkurrierender politischer Kandidaten gezeigt. Die Probanden wurden gefragt, welcher der Kandidaten einen kompetenteren Eindruck mache. (Die Probanden kannten keinen der Kandidaten.)
    Der Kandidat, der von den Versuchspersonen als der kompetentere eingeschätzt wurde, gewann 72 Prozent der Wahlkämpfe um einen Sitz im Senat und 67 Prozent der Wahlkämpfe um einen Sitz im Repräsentantenhaus. 7 Die Versuchspersonen waren beeindruckenderweise in der Lage, die tatsächlichen Gewinner vorherzusagen, wenn man sie nur eine Sekunde lang die Gesichter der Kandidaten betrachten ließ. Dieses Ergebnis wurde auch international bestätigt. In einer Studie mit dem Titel »Looking Like a Winner« (Wie ein Gewinner aussehen) zeigten Chappell Lawson, Gabriel Lenz u.a. Menschen in den USA und in Indien ganz kurz Fotos von Personen, die sich in Mexiko und Brasilien um ein Amt bewarben. Trotz ethnischer und kultureller Unterschiede waren sich Amerikaner und Inder einig in der Frage, welcher Kandidat kompetenter wäre. Die Präferenzen der Amerikaner und Inder sagten auch die mexikanischen und brasilianischen Wahlergebnisse erstaunlich genau vorher.
    Daniel Benjamin von der Cornell University und Jesse Shapiro von der University of Chicago fanden in einer Studie heraus, dass Versuchspersonen nur

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