Das soziale Tier
dadurch, dass sie zehn Sekunden lange tonlose Videoclips von den eine Rede haltenden Kandidaten anschauten, die Ergebnisse von Gouverneurswahlen mit einer gewissen Treffsicherheit vorhersagen konnten. 8 Ihre Trefferquote sank, wenn der Ton angestellt wurde. In einer Studie von Jonah Berger u.a. an der Stanford University kam heraus, dass auch der Standort einer Wahlkabine die Entscheidungen von Wählern beeinflussen kann. 9 Wähler, die Wahllokale in Schulen aufsuchten, waren eher für Steuererhöhungen zur Finanzierung des Bildungswesens als Wähler, die Wahllokale an anderen Orten aufsuchten. Wähler, denen ein Foto von einer Schule gezeigt wurde, waren ebenfalls mit höherer Wahrscheinlichkeit für Steuererhöhungen als Wähler, denen kein solches Foto gezeigt wurde.
Einige dieser Experimente wurden im Labor durchgeführt. Reale Wahlkämpfe ziehen sich über Monate hin. Die Wähler bilden sich im Abstand von Minuten, Stunden, Tagen, Wochen und Monaten spontane Urteile, und die augenblicklichen Wahrnehmungen lagern sich zu einem dichten und komplexen Bewertungsgefüge zusammen.
Wenn man sagt, dass Wahlentscheidungen emotional seien, heißt dies nicht, dass Wähler dumm und irrational sind. Da unbewusste Prozesse schneller und komplizierter sind als bewusste, kann diese intuitive Suche recht differenziert sein. Wenn Wähler einen politischen Wahlkampf verfolgen, sind sie sowohl rational als auch intuitiv. Die beiden Formen der Kognition bereichern und ergänzen sich gegenseitig.
Die implizite Debatte
Zu guter Letzt setzte sich Grace dann doch gegen Galving durch. Es gab einfach mehr Leute seines Schlages als Leute, die Galving ansprach. Er wurde von seiner Partei als Präsidentschaftskandidat aufgestellt. Innerhalb weniger Monate, während die Angehörigen beider Parteiflügel gegen die andere Partei in den Kampf zogen, war alles vergeben, was vorher passiert war. Eine neue »Wir-Sie«-Unterscheidung einte sie.
Die Präsidentschaftswahlen waren größer und, zumindest oberflächlich, weniger durchsichtig. Im Vorwahlkampf hatte jeder jeden gekannt; es war ein Kampf in der Familie gewesen. Die Präsidentschaftswahlen dagegen waren ein Kampf gegen eine andere Partei, und fast niemand kannte irgendwen auf der anderen Seite. Die »anderen« waren wie Kreaturen von einem anderen Sonnensystem, und es war angezeigt, das Schlimmste zu befürchten.
In Grace’ Wahlkampfteam herrschte die Ansicht vor, dass die Wahlkampfmanager der Gegenseite außergewöhnlich bösartig und teuflisch klug seien. Die Leute in Grace’ Lager glaubten, ihre Seite sei durch interne Streitigkeiten gespalten (wegen ihrer intellektuellen Überlegenheit und geistigen Unabhängigkeit), während die andere Seite mit totalitärer Einigkeit und Präzision marschiere (wegen ihrer klonartigen Gleichförmigkeit). Sie selbst waren reflektiert, aber zerstritten, während die andere Seite gedankenlos, aber diszipliniert war.
Im Herbst bestand die Kampagne vor allem aus Zwischenstopps an Flughäfen. Grace hielt in dem Bemühen, an einem Tag so viele Fernsehsender wie möglich zu erreichen, in einem Flughafenhangar nach dem anderen seine Wahlkampfkundgebungen ab. Die meisten internen Wahlkampfdebatten schienen sich um die Frage zu drehen, wo man die Podeste für die Fernsehkameras aufbauen sollte und wie hoch sie zu sein hatten.
Die Kandidaten tauschten Beleidigungen aus, die mit BlackBerry-Geschwindigkeit übertragen wurden. Die Medien berichteten darüber, wer jede Woche, jeden Tag und jede Stunde die Nase vorn hatte, obwohl völlig unklar war, ob diese »Siege« für das Wahlvolk irgendetwas bedeuteten. Grace’ Anhänger wurden manisch-depressiv. An einem Tag konnte ein Senator frohlockend über den sicheren Sieg ins Wahlkampf-Flugzeug steigen, und am nächsten Tag war derselbe Senator verzweifelt über die Aussicht auf eine sichere Niederlage.
Ein ganzes Heer von Beratern feilte an der Botschaft. »Sagen Sie nie ›Familie‹, sagen Sie ›hart arbeitende Familie‹. Sagen Sie nicht ›ausgeben‹, sondern ›investieren‹.« Diese subtilen Umformulierungen dienten dazu, völlig andere Assoziationen in den Köpfen der Wähler hervorzurufen.
Der wichtigste Teil des Wahlkampfs fand fern von dem Kandidaten statt, bei den Beratern, die die Werbespots fürs Fernsehen konzipierten. Sie stimmten sie auf Wähler ab, die sich normalerweise nicht für Politik interessierten und die erschreckend falsch informiert waren über die Standpunkte der Kandidaten zu
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