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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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gibt es Berge von Untersuchungen zur sogenannten Bindungstheorie, die sich mit der Frage beschäftigt, welcher Zusammenhang zwischen verschiedenen Bindungsformen und verschiedenen Typen elterlichen Erziehungsverhaltens besteht und wie stark frühkindliche Bindungen das Beziehungsverhalten und die allgemeine Leistungsfähigkeit im späteren Leben beeinflussen. Es hat sich gezeigt, dass bereits der Bindungsstil von Einjährigen in beachtlichem Ausmaß mit ihren späteren schulischen Leistungen, ihrem allgemeinen Erfolg im Leben und ihrer späteren Beziehungsfähigkeit korreliert. Die Ergebnisse eines Tests im Kindesalter sagen natürlich nicht exakt den zukünftigen Lebensverlauf vorher; niemandes Schicksal wird in der Kindheit hundertprozentig festgelegt. Aber die Testergebnisse geben Aufschluss über die inneren Arbeitsmodelle, die durch die Beziehung zwischen Eltern und Kind entstanden sind, Modelle, die später dazu dienen, sich in der Welt zurechtzufinden.
    Sicher gebundene Kinder haben Eltern, die auf ihre Bedürfnisse eingehen und ihre Gemütszustände spiegeln. Ihre Mütter beruhigen sie, wenn sie ängstlich sind, und sie spielen mit ihnen, wenn sie fröhlich sind. Diese Kinder haben keine perfekten Eltern oder perfekten Beziehungen. Kinder müssen nicht wie rohe Eier behandelt werden. Ihre Eltern dürfen durchaus mal Mist bauen, in Wut geraten und manchmal auch die Bedürfnisse ihrer Kinder missachten. Wenn das Muster der elterlichen Zuwendung insgesamt zuverlässig ist, fühlen sich die Kinder in ihrer Gegenwart auch dann sicher gebunden. Eine weitere Erkenntnis besteht darin, dass es nicht den einen richtigen Erziehungsstil gibt. Eltern können ihre Kinder streng bestrafen, doch solange die Kinder das Gefühl haben, das elterliche Verhalten folge einem bestimmten, konsistenten Muster, wird die Bindung wahrscheinlich dennoch sicher sein.
    Wenn Eltern diese enge Abstimmung mit ihren Kindern erfolgreich meistern, wird in deren Gehirn schlagartig eine große Menge an Oxytocin freigesetzt. Einige Wissenschaftler nennen Oxytocin auch das »bindungsassoziierte Neuropeptid«. Seine Produktion steigt an, wenn Menschen enge soziale Bindungen haben; wenn eine Frau niederkommt oder ihr Kind stillt, nach einem Orgasmus, wenn zwei Menschen sich gegenseitig liebevoll in die Augen blicken, wenn sich Freunde oder Verwandte umarmen. Oxytocin vermittelt Menschen ein starkes Gefühl der Zufriedenheit. Anders gesagt: Oxytocin ist die Substanz, mit der die Natur die soziale Kontaktbereitschaft des Menschen fördert.
    Sicher gebundene Kinder können Stresssituationen gut bewältigen. In einer Studie kam Megan Gunnar von der University of Minnesota zu dem Ergebnis, dass ein sicher gebundenes 15 Monate altes Kleinkind, dem eine Spritze verabreicht wird, zwar vor Schmerzen weint, der Cortisolspiegel in seinem Blut aber nicht ansteigt. Unsicher gebundene Kinder schreien vielleicht genauso laut, aber sie suchen keinen Trost bei ihrer Bezugsperson, und ihr Cortisolspiegel steigt eher schnell an, weil sie es gewohnt sind, existenziellen Stress zu erleben. 5 Sicher gebundene Kinder haben mehr Freunde in der Schule und im Sommerlager. In der Schule wissen sie, wie sie mit Lehrern und anderen Erwachsenen umgehen müssen, um erfolgreich zu sein. Sie spüren nicht den zwanghaften Drang, sich ständig an die Lehrer anzulehnen und in ihrer Nähe aufzuhalten. Sie halten sich aber auch nicht von Lehrern fern. 6 Sie kommen und gehen, sie knüpfen Kontakte und gehen wieder weg. Sie sind in ihrem späteren Leben häufig auch ehrlicher, da sie kein so starkes Bedürfnis verspüren, sich in den Augen anderer wichtig zu machen. 7
    Kinder mit unsicher-vermeidendem Bindungsverhalten haben oftmals Eltern, die in sich gekehrt und emotional unerreichbar sind. Sie kommunizieren nicht gut mit ihren Kindern und können keine belastbare emotionale Beziehung zu ihnen aufbauen. Manchmal sagen sie das Richtige, aber sie begleiten ihre Worte nicht mit Gesten, die Zuneigung vermitteln. Infolgedessen entwickeln ihre Kinder ein inneres Arbeitsmodell, das ihnen sagt, dass sie auf sich selbst aufpassen müssen. Sie lernen, sich nicht auf andere zu verlassen und sich aus Selbstschutz präventiv zurückzuziehen. Im Strange Situation Test protestieren sie nicht (zumindest nicht äußerlich), wenn ihre Mütter den Raum verlassen, obwohl ihr Herz schneller schlägt und sie innerlich stark angespannt sind. 8 Wenn sie allein gelassen werden, weinen sie nicht, sondern sie

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