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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Weisheit auf einen anderen. Nach einiger Zeit aber kam ihm diese Einteilung willkürlich vor. Er ließ seiner Fantasie freien Lauf. Manchmal schien eine Antwort zum Greifen nah zu sein. Er folgte einer inneren Stimme, einem leisen Signal aus seinem Unbewussten. Aber er hatte noch immer kein Gesamtkonzept. Harold verfügte über viel Wissen, doch er konnte es nicht strukturieren. Er war müde und befand sich in einer Sackgasse.
    Abermals machte er Schluss und ging ins Bett. Wie sich zeigen sollte, war das das Klügste, was er tun konnte. Die Funktion des Schlafs wird unter Wissenschaftlern kontrovers diskutiert, aber viele Forscher sind der Ansicht, dass unser Gehirn im Schlaf Erinnerungen festigt, das, was wir tagsüber gelernt haben, ordnet und außerdem die Veränderungen im Gehirn verstärkt, die durch die Aktivitäten des Vortags herbeigeführt wurden. Der deutsche Wissenschaftler Jan Born gab einer Gruppe von Personen eine Reihe von Mathematikaufgaben und forderte sie auf, die Regel zu finden, die man für ihre Lösung braucht. 32 Von den Personen, die zwischen den Arbeitssitzungen acht Stunden schliefen, lösten doppelt so viele die Aufgaben wie von denjenigen, die durcharbeiteten. Studien von Robert Stickgold und anderen deuten darauf hin, dass Schlaf die Gedächtnisleistung um mindestens 15 Prozent verbessert. 33
    Als Harold am nächsten Morgen aufwachte, betrachtete er die Sonne, die zwischen den Wipfeln der Bäume vor seinem Fenster schimmerte. Seine Gedanken wanderten umher, er dachte über den gestrigen Tag nach, über seine Arbeit, seine Freunde und eine wahllose Reihe anderer Dinge. In frühmorgendlichen Bewusstseinszuständen dieser Art ist die rechte Großhirnhälfte ganz besonders aktiv. 34 Das bedeutet, dass Harolds Gedanken weit umherschweiften und sich nicht eng auf eine Sache konzentrierten. Er befand sich in einem Zustand frei schwebender Aufmerksamkeit. Dann geschah etwas.
    Wäre die Aktivität seines Gehirns in diesem Moment mit einem EEG verschaltet gewesen, hätte man in der rechten Hirnhälfte einen sprunghaften Anstieg der Alpha-Wellen feststellen können. Joy Bhattacharya von der University of London konnte zeigen, dass der Anteil dieser Wellen im EEG etwa acht Sekunden, bevor eine Person den Einfall hat, der notwendig ist, um ein Problem zu lösen, stark ansteigt. Und Mark Jung-Beeman und John Kouinos haben herausgefunden, dass eine Sekunde vor einem solchen Geistesblitz das Hirnareal, das visuelle Informationen verarbeitet, »abgeschaltet« wird, um Ablenkungen zu verhindern. 35 300 Millisekunden davor treten vermehrt Gamma-Wellen auf, die Wellen, die im Gehirn die höchste Frequenz überhaupt haben. Es kommt zu einem Aktivitätsschub im rechten Schläfenlappen, unmittelbar über dem rechten Ohr. Dies ist laut Jung-Beeman und Kounios ein Areal, in dem Informationen aus den unterschiedlichsten Regionen des Gehirns zusammengeführt werden.
    Harold erfuhr, was es heißt, plötzlich einen Geistesblitz, ein Aha-Erlebnis zu haben. Etwas war jäh in seinem Bewusstsein aufgetaucht. Seine Augen weiteten sich. Er empfand ein intensives Gefühl der Euphorie. Ja, das ist es! Unvermittelt eröffnete sich ihm eine neue mentale Perspektive. Er wusste sofort, dass er sein Problem gelöst hatte, dass er ein Thema für seine Arbeit hatte – und das, bevor er genau hätte sagen können, worin die Lösung bestand. Ungeordnete Versatzstücke schienen mit einem Mal zusammenzupassen. Es war mehr ein Gefühl als ein Gedanke, ein Gefühl einer fast religiösen Verbindung. 36 Robert Burton schrieb in seinem Buch On Being Certain: »Gefühle des Wissens, der Richtigkeit, des Überzeugtseins und der Gewissheit sind keine wohlerwogenen Schlussfolgerungen und bewussten Entscheidungen. Sie sind mentale Empfindungen, die uns widerfahren .« 37
    Harolds zentrale Einsicht betraf die Motivation. Weshalb setzte Achill sein Leben aufs Spiel? Weshalb opferten die Kämpfer bei den Thermopylen das ihre? Was erstrebte Perikles für sich und für die Athener? Was wollte er selbst auf der Schule erreichen? Weshalb wollte er, dass seine Mannschaft die Meisterschaft gewann?
    Die Antwort auf all diese Fragen gab ihm ein griechisches Wort, auf das er bei seiner Lektüre gestoßen war: thymos. Sein ganzes Leben lang war Harold von Menschen umgeben gewesen, die eine Reihe gesellschaftlich anerkannter Motive hatten: Geld verdienen, gute Noten bekommen oder die Aufnahme auf ein gutes College schaffen. Aber all diese Motive erklärten

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