Das soziale Tier
auch denen gegenüber unmöglich, die versuchten, ihr zu helfen. Sie wusste, dass sie ein Miststück war, und sie wusste, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung war, aber sie hörte nicht damit auf. Jedes Mal, wenn sie in den Spiegel sah, sagte sie sich »Ich bin stark«. Sie redete sich ein, dass sie ihre Schule hasste, was nicht stimmte. Sie redete sich ein, dass sie ihr Viertel hasste, was sie irgendwie auch tatsächlich tat. Hier lag ihre wahre Genialität. Aus irgendeinem Grund verstand sie, dass sie sich nicht aus eigener Kraft verändern konnte. Sie konnte nicht in ihrem gegenwärtigen Umfeld bleiben und ihre Zukunftschancen allein durch ihre persönliche Willenskraft zum Positiven wenden. Sie wäre immer denselben emotionalen Auslösern ausgesetzt. Und diese wären immer stärker als ihre bewussten Entschlüsse.
Eine Entscheidung aber konnte sie treffen: Sie konnte ihr Umfeld wechseln. Und wenn sie sich in ein anderes Umfeld begeben würde, wäre sie völlig anderen Stimuli und unbewussten kulturellen Einflüssen ausgesetzt. Es ist leichter, seine Umgebung zu verändern als sein Inneres. Verändern Sie Ihre Umgebung, und lassen Sie die neuen Stimuli für sich arbeiten.
In der achten Klasse verbrachte sie die erste Hälfte des Schuljahres damit, sich über die Academy zu informieren, mit Schülern zu sprechen, ihre Mutter zu befragen und ihre Lehrer auszuquetschen. Eines Tages im Februar kam ihr zu Ohren, dass der Verwaltungsrat der Schule tagte, und in ihrer jugendlich-kämpferischen Art beschloss sie, dorthin zu gehen und zu verlangen, dass sie aufgenommen werde.
Als eine Gruppe von Schülern aus dem Hinterausgang herauskam, schlich sie sich in die Schule hinein und machte sich auf den Weg zum Konferenzzimmer. Sie klopfte und trat ein. Eine Gruppe von Tischen war in der Mitte des Zimmers zusammengeschoben worden, und ringsherum saßen etwa 25 Erwachsene. Die beiden Academy-Gründer saßen in der Mitte auf der anderen Seite der Tische.
»Ich würde gern auf Ihre Schule gehen«, sagte sie so laut, dass es alle im Raum hören konnten.
»Wie bist du hier reingekommen?«, raunzte jemand am Tisch.
»Darf ich bitte nächstes Jahr auf Ihre Schule gehen?«
Einer der Gründer lächelte. »Weißt du, wir haben ein Lotteriesystem. Du kannst dich anmelden, die nächste Auslosung ist im April …«
»Ich möchte auf Ihre Schule gehen«, fiel ihm Erica ins Wort und legte mit der Rede los, die sie monatelang einstudiert hatte. »Als ich zehn war, wollte ich auf die New Hope gehen, aber ich wurde abgewiesen. Ich bin aufs Sozialamt gegangen und hab mit der Frau dort gesprochen, aber sie wollte mich auch nicht lassen. Sie brauchten dort drei Sicherheitsleute, um mich aus dem Zimmer zu schaffen. Aber jetzt bin ich 13, und ich habe mich gewaltig angestrengt. Ich habe gute Noten. Ich weiß, wie man sich benehmen muss. Ich finde, ich habe es verdient, auf Ihre Schule zu gehen. Sie können jeden fragen. Ich habe Empfehlungen.« Sie hielt einen Zettel mit den Namen ihrer Lehrer hoch.
»Wie heißt du?«, fragte einer der Gründer.
»Erica.«
»Weißt du, wir halten uns hier an bestimmte Regeln. Viele Schüler würden gern auf die Academy gehen, daher haben wir beschlossen, dass es am gerechtesten ist, die freien Plätze jedes Frühjahr zu verlosen.«
»Sie sagen also nein.«
»Du hast die gleichen Chancen wie alle anderen.«
»Sie sagen also nein. Ich muss auf die Academy gehen. Ich muss aufs College gehen.«
Erica hatte nichts mehr zu sagen. Sie stand einfach schweigend da. Sie würde sich nicht vom Fleck rühren. Diesmal würde es mehr Sicherheitsleute brauchen, um sie rauszuschaffen, nahm sie sich vor.
Den Gründern der Schule gegenüber saß ein großer, korpulenter Mann. Er hatte als Hedgefondsmanager Milliarden verdient und war der Hauptgeldgeber der Schule. Er war blitzgescheit, doch seine gesellschaftlichen Umgangsformen ließen zu wünschen übrig. Nun zog er einen Füller aus seiner Tasche und schrieb etwas auf einen Zettel. Er betrachtete Erica noch einmal, faltete den Zettel zusammen und schob ihn über den Tisch zu den Gründern. Sie falteten ihn auseinander und lasen die Nachricht. Sie lautete: »Manipuliert die verdammte Auslosung.«
Die Gründer blickten sich einen Moment sprachlos an. Schließlich sah einer von ihnen auf und sagte mit leiser Stimme: »Wie war dein Name noch mal?«
»Erica.«
»Hör zu, auf der Academy gibt es Regeln. Diese Regeln gelten für alle. Wir halten uns eisern an diese
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