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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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an wie ein wildes Tier, das Gesicht wutverzerrt. In linkischer Körperhaltung erwartete sie bald den gegnerischen Aufschlag, dabei konzentrierte sie sich stärker auf ihre Frustration als auf den Ball. Ihre Returns gingen ins Netz oder ins Aus, und nach jedem verschlagenen Ball keifte sie »Fuck!« vor sich hin.
    Der Trainer bombardierte sie mit Ratschlägen. Zieh die Schulter ein. Beweg deine Füße. Geh auf die Zehen. Schneller ans Netz. Aber sie fand einfach nicht mehr ins Spiel zurück. Sie schlug den Ball so hart wie möglich, und jeder Fehler schien ihren Selbsthass nur noch zu verstärken. Aus unersichtlichen Gründen begann sie ihr eigenes Spiel zu sabotieren, indem sie Volleys weit über das Spielfeld hinaus in den Zaun schlug und nicht einmal versuchte, gegnerische Aufschläge zu retournieren. Beim Seitenwechsel stampfte sie vom Spielfeld und warf ihren Schläger auf den Boden neben ihrem Stuhl. Nach einem verschlagenen Volley drehte sie sich im Kreis und schleuderte ihren Schläger gegen den Zaun. Ihr Trainer fuhr sie: »Erica, reiß dich zusammen, oder hör auf!«
    Erica schlug bei ihrem nächsten Aufschlag ein Ass und starrte ihn wütend an. Ihr nächster Aufschlag wurde als Fehler gewertet, obwohl der Ball im Feld aufkam. »Sind Sie total verrückt?«, schrie Erica und unterbrach das Spiel. Sie knallte ihren Schläger auf den Boden. »Sind Sie total verrückt?« Sie stürmte zum Netz und machte dabei ein Gesicht, als wollte sie jeden erwürgen, der sich ihr in den Weg stellte. Ihre Gegnerin, der Schiedsrichter, ihre Teamkolleginnen – alle wichen unwillkürlich vor ihr zurück. Sie schäumte vor Wut.
    Sie wusste genau, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung war, aber es tat gut. Sie wollte jemandem die Faust ins Gesicht schlagen und Blut spritzen sehen. Als sie sah, wie die Menschen um sie herum ängstlich zurückwichen, empfand sie plötzlich ein starkes Gefühl von Macht und Dominanz. Sie sah sich nach jemandem um, den sie demütigen könnte.
    Etliche lange Sekunden lang näherte sich niemand. So stürmte sie schlussendlich vom Platz und setzte sich auf ihren Stuhl, die Augen auf den Boden gerichtet. Die anderen waren schuld. Die Arschlöcher dieser Welt, der Ball, der Schläger, ihre Gegnerin. Schließlich kam ihr Trainer zu ihr, genauso wütend wie sie. Er packte sie am Arm und raunzte sie an: »Du bist ausgeschieden. Gehen wir.«
    Sie riss sich los. »Fass mich nicht an!« Trotzdem stand sie auf und begann, drei Schritte vor ihm, zum Bus zu gehen. Sie schlug mit der Faust gegen das metallene Gehäuse des Busses, als sie den Fuß auf die unterste Stufe setzte, und stampfte dann lautstark durch den Mittelgang. Ihre Sachen schleuderte sie gegen die Wand und ließ sich selbst auf die Rückbank fallen. Dort blieb sie anderthalb Stunden sitzen, so lange, bis die anderen Partien zu Ende waren. Auf der Rückfahrt zur Schule schmollte sie stumm vor sich hin.
    An diesem Nachmittag war Erica nicht ansprechbar. Sie hatte kein schlechtes Gewissen, keine Angst, in der Academy oder zu Hause Probleme zu kriegen. Sie war störrisch, unnachgiebig und schroff, wenn jemand mit ihr zu reden versuchte.
    Als die Mannschaft wieder in der Schule eintraf, zerrissen sich alle den Mund darüber, wie Erica auf dem Tennisplatz ausgerastet war. Am nächsten Tag ließ die Verwaltung der Schule den Unterricht unterbrechen und rief stattdessen alle Schüler und Lehrer in der Sporthalle zusammen, um dort eine Stunde lang über sportliche Fairness zu diskutieren. Ericas Name wurde nicht erwähnt, aber alle wussten, dass sie der Auslöser dafür war. Lehrer und Mitarbeiter der Verwaltung nahmen sie sich an diesem Tag – auf freundliche oder auch weniger freundliche Weise – zur Brust, aber nichts von dem, was sie sagten, blieb bei ihr hängen.
    Temperament
    Am nächsten Abend jedoch begann der ganze Vorfall in einem anderen Licht zu erscheinen. Erica weinte in ihr Kopfkissen. Mit einem Mal hatte sie ein starkes Gefühl der Demütigung und Scham überkommen.
    In diesem Alter war ihre Mutter, Amy, Erica schon nicht mehr gewachsen. Ihre Persönlichkeit war nicht stark genug. Aber sie wusste, wie es ist, wenn man sich in einer Weise verhält, die einem selbst nicht erklärlich ist. Sie fragte sich, ob sie diese Gene vielleicht an ihre Tochter weitergegeben hatte und alle positiven Eigenschaften Ericas im Begriff stünden, von den dunklen überschattet zu werden, die sie von ihrer lieben alten Mutter geerbt hatte.
    Sie fragte sich auch, ob

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