Das soziale Tier
sind diese Menschen erheblichen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Eine Studie über Ingenieure, die sechs Monate lang bis zu 90 Stunden pro Woche an einem extrem stressigen Projekt arbeiteten, ergab, dass sie noch bis zu 18 Monate nach Abschluss des Projekts einen höheren Cortisol- und Adrenalin-Spiegel aufwiesen, zwei chemische Substanzen, die mit Stress assoziiert sind; und das, obwohl sie alle im Anschluss an das Projekt vier bis fünf Wochen Urlaub gemacht hatten. 6 Die Folgen von Stress können lange anhalten und äußerst gesundheitsgefährdend sein.
An diesem Abend, volle 30 Stunden nach der Tennis-Katastrophe, war sich Amy noch immer nicht sicher, wie sie den Stress und die Schamgefühle ihrer Tochter lindern könne. So saß sie nur da, mit der Hand auf Ericas Rücken, etwas jämmerlich in ihrem Versuch, Erica zu helfen, mit dieser Erfahrung klarzukommen. Nach eine Viertelstunde wurden sie beide ein wenig unruhig, standen auf, und begannen, das Abendessen zuzubereiten. Erica machte einen Salat. Amy holte die Nudeln aus dem Speiseschrank. Sie und Erica machten etwas zusammen. Sie machten etwas, das sie beruhigte und sie wieder ins Gleichgewicht brachte. Aus irgendeinem Grund konnte Erica wieder gelassen auf die Welt sehen. Als sie Tomaten in Scheiben schnitt, sah sie plötzlich auf und fragte ihre Mutter: »Weshalb habe ich mich selbst nicht in der Gewalt?«
Dies war tatsächlich eine wichtige Frage. Angela Duckworth und Martin Seligman haben bei ihren Forschungsarbeiten herausgefunden, dass Selbstbeherrschung für das Leistungsniveau, die Anwesenheit und die Abschlussnoten auf der Highschool doppelt so wichtig ist wie der IQ . 7 Andere Forscher bestreiten, dass das Ausmaß der Selbstbeherrschung wichtiger sei als der IQ , aber es steht außer Frage, dass Selbstbeherrschung eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein erfülltes Leben ist.
»Ich habe das Gefühl, dass ich das gar nicht gewesen bin«, sagte Erica ihrer Mutter bei einem ihrer Gespräche über den Vorfall. »Es war so, als hätte eine fremde, wütende Person Besitz von meinem Körper ergriffen. Ich weiß nicht, woher diese Person kam oder was sie dachte. Ich habe Angst, dass sie zurückkommen und etwas Schreckliches tun wird.«
Das berühmte Marshmallow
Um 1970 herum führte Walter Mischel, damals an der Stanford University und heute an der Columbia University, eines der berühmtesten und entzückendsten Experimente der modernen Psychologie durch. Er setzte vierjährige Kinder alleine in einen Raum und legte ein Marshmallow vor sie auf den Tisch. Er sagte ihnen, sie könnten das Marshmallow sofort essen oder aber warten, bis er wiederkomme, dann würde er ihnen zwei Marshmallows geben. In den Videoaufnahmen von dem Experiment sieht man, wie Mischel das Zimmer verlässt und wie die Kinder anfangen, unruhig auf den Stühlen zu rutschen, herumzuzappeln, sich die Augen zuzuhalten und mit ihren Köpfen gegen den Tisch zu schlagen, alles in dem Bemühen, das Marshmallow auf dem Tisch vor ihnen nicht zu essen. Einmal verwendete Mischel statt eines Marshmallows einen Oreo-Keks. Ein Kind war besonders schlau, es nahm den Keks in die Hand, aß nur die Cremefüllung und legte den Keks dann vorsichtig wieder an seinen Platz zurück. (Dieses Kind ist heute wahrscheinlich ein US -Senator.)
Das Entscheidende aber ist folgender Befund: Die Kinder, die viele Minuten warten konnten, waren später deutlich besser in der Schule und zeigten weniger Verhaltensauffälligkeiten als die Kinder, die nur wenige Minuten warten konnten. Auch ihre Sozialkompetenz war in der Mittelstufe ausgeprägter. Kinder, die ganze 15 Minuten warten konnten, erzielten 13 Jahre später bei den Studierfähigkeitstests 210 Punkte mehr als Kinder, die nur 30 Sekunden warten konnten. (Es zeigte sich, dass der Marshmallow-Test die beim Studierfähigkeitstest erreichte Punktzahl zuverlässiger vorhersagte als die Intelligenztests, denen die Vierjährigen unterzogen wurden.) 8 20 Jahre später machten viel mehr von ihnen einen College-Abschluss, und 30 Jahre später hatten sie viel höhere Einkommen. Die Kinder, die gar nicht warten konnten, wurden viel öfter straffällig und hatten viel häufiger Drogen- und Alkoholprobleme.
Der Test löste bei den Kindern einen Konflikt zwischen kurzfristigen Impulsen und langfristiger Belohnung aus. Der Marshmallow-Test misst, ob Kinder Strategien gelernt haben, um ihre Impulse zu kontrollieren. Diejenigen, die dies getan hatten, waren in der
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